„Endlich. Neues ist aufgebrochen. […] Das Ziel eines langen Weges ist erreicht“. Mit diesen Worten beginnt mein Vater, Günter Särchen, seine 1990 niedergeschriebenen Erinnerungen1 an „die aufgehobene politische Teilung Europas“ und an die damit auch möglich gewordene Gründung der Stiftung Kreisau. Der Weg bis dahin wurde über Jahrzehnte zuvor von vielen Menschen mit bereitet, die aus verschiedenen Richtungen kamen, aber in derselben Intention unterwegs waren: der Versöhnung und Verständigung mit Polen.
Zu ihnen gehörte auch mein Vater, der ein Wegstück der deutsch-polnischen Versöhnung aus christlicher Intention und moralischer Verantwortung heraus unter schwierigen Bedingungen der DDR über Jahrzehnte in beharrlich unternommenen kleinen Schritten der Begegnungen von Mensch zu Mensch – was ihm immer sehr wichtig war - mitgestaltet hat. Diesen Weg konnte er nur gehen, da er – beginnend Ende der 50er Jahre - zahlreiche persönliche Kontakte nach Polen u.a. auch zum KIK Wroclaw aufnehmen konnte (erwähnt seien hier vor allem Ewa Unger, Familie Wanda und Kazimierz Czaplinski).
Er konnte den neuen Ort der Begegnung in den Anfängen (u. a. im Stiftungsrat) noch mitgestalten.
Inzwischen sind 30 Jahre vergangen und einige Reflexionen von meinem Vater über die Anfangszeit möchte ich an dieser Stelle wiedergeben.
„Was in den vierziger Jahren in dem niederschlesischen Gutshaus Kreisau für die damals im NS-Widerstand lebenden deutschen Patrioten, Männer und Frauen, noch ein Traum von einem anderen Deutschland und einem neuen Europa war, kann jetzt, 1989, ebenfalls ausgehend von dem historischen Geschehen in diesem inzwischen polnischen Dorf Krzyzowa, verwirklicht werden.
„ […] Der jahrzehntelangen Trennung müssen in neuer Qualität viele Begegnungen folgen. Nicht nur durch Politiker, vor allem aber durch die junge Generation. Der Gehalt jeder Begegnung muss von Wahrhaftigkeit und Offenheit für den Anderen geprägt sein. „Aus vielen Gesprächen mit ihm erinnere ich mich, wie sehr wichtig ihm die Einbeziehung des polnischen Dorfes Krzyzowa mit seinen Bewohnern war."
„Hier [in Krzyzowa – E.H.] liegt unser Bewährungsfeld und nicht nur ein Betätigungsfeld. Hier ist ein gewaltiges Hochspannungsfeld! Wehe, wenn das nicht beachtet wird! Gerade an diesem Ort Krzyzowa und allem, was hier angedacht und mit deutscher Förderung entwickelt wird, lässt sich in Zukunft messen, ob man tatsächlich bereit ist, den europäischen Geist „der Kreisauer“ zu verwirklichen oder man an diesem jetzt polnischen Ort lediglich eine deutsch-nationale Erinnerungsstätte mit deutlicher deutscher Ausstrahlung einrichten will. […] Wohlgemerkt: kein Deutscher braucht an diesem Ort seine eigene Identität und seine edle Liebe zur alten Heimat verstecken. Doch wir müssen miteinander lernen sie mit sehr viel Einfühlungsvermögen einzubringen in das neue Werk, das kaum fünfzig Jahre nach dem Opfertod der deutschen „Kreisauer“ [Kreisauer Kreis – E.H.] gegenwärtig vor allem von polnischen Frauen und Männern in ihrem Land als Teil Europas aufgegriffen und in einer neuen historischen Epoche ideenreich weitergeführt wird.“ In diesem Zusammenhang erlaubte sich mein Vater „als Freund des polnischen Volkes [seine-E.H.] „Vorahnung niederzuschreiben, dass in dieser neuen, vor allem in den siebziger und achtziger Jahren aufgebrochenen Epoche auch polnischerseits noch längst nicht der politische Gärungsprozess abgeschlossen ist. Er beginnt er jetzt öffentlich sichtbar aufzubrechen… (Angst vor den Deutschen). Alle beteiligten Europäer und nicht zuletzt wir Deutschen werden bei jedem Schritt bemüht sein müssen, durch unsere Entscheidungen und unser Vorgehen solchen polnischen Befürchtungen keinen Vorschub zu leisten. Für uns alle beginnt ein neuer Lernprozess, der nicht von einer ständigen Vorwärtsbewegung gekennzeichnet sein wird. Dafür waren die zurückliegenden Jahrzehnte für die Menschen beider Völker zu leidvoll.“
Heute erlebe ich das neue Kreisau mit seinen Einrichtungen als einen wunderbaren und einzigartigen lebendigen Ort inzwischen internationaler offener Begegnung und Erinnerungsort, wo Erziehung zu Frieden und Demokratie ein wichtiges gelebtes Anliegen ist.
Mir ist es mehr als eine Verpflichtung, von dem neuen Kreisau weiterzuerzählen, andere „anzustecken“ mit dem Geist der Völkerverbindung.
Elisabeth Here-Särchen
Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung
1 Günter Särchen: Mein Leben in dieser Zeit, S. 89, Bischöfliches Ordinariat Magdeburg, Bistumsarchiv