Prof. Waldemar Czachur hat nach fast zwei Amtszeiten als Vorsitzender des Stiftungsrats beschlossen, von seiner Funktion zurückzutreten. Wir danken Prof. Czachur herzlich für seinen bisherigen Beitrag zur Entwicklung unserer Organisation und freuen uns auf weitere Jahre der Zusammenarbeit mit ihm als Mitglied des Stiftungsrats.
Am 18. November 2023 wurde vom Stiftungsrat der Stiftung Kreisau ein neues Präsidium gewählt. Neuer Vorsitzender ist Ole Jantschek und neue stellvertretende Vorsitzende Dorota Nahrebecka-Sobota.
Hier können Sie beide näher kennenlernen.
Kreisau – Ort von Begegnung und Dialog
Dorota Nahrebecka-Sobota: Kreisau ist durch Zufall in mein Leben gekommen. Anfang 2000, kurz nach meinem Studienabschluss, bin ich auf eine Stellenausschreibung der Stiftung Kreisau gestoßen. Da ich bereits seit einigen Jahren im Bereich der deutsch-polnischen Zusammenarbeit tätig war, wollte ich es versuchen. Damals hat es nicht geklappt. Seitdem habe ich jedoch die Aktivitäten der Stiftung verfolgt. Dann ist die Stiftung als Empfängerin von Fördermitteln für Bildungsprojekte selbst zu mir gekommen. Dadurch konnte ich sehen, wie erfolgreich sich die Stiftung in diesem Bereich bewegte, wie gut sie Projekte umsetzen und langfristige Zusammenarbeit mit Kommunen aufbauen konnte. Durch zufällige Gespräche mit Mitarbeiter*innen der Stiftung konnte ich ihre Projektarbeit gut kennenlernen. Gleichzeitig habe ich sie mit Ratschlägen und meiner Erfahrung, beispielsweise im Bereich öffentlicher Förderung, unterstützt.
Ole Jantschek: Mein Weg nach Kreisau führte über Berlin und Krakau. Ich war 2003/04 für ein Auslandsstudium an der Jagiellonen-Universität und suchte im Anschluss nach einem interessanten Job bei einer Organisation. Es wurde schließlich eine Trainee-Stelle bei der Kreisau-Initiative e.V. in Berlin, für die ich ein Simulationsspiel zum Europäischen Parlament auf den Weg brachte. Im Mai und Juni 2004 war ich das erste Mal länger in der IJBS in Kreisau. Der Beitritt Polens zur EU und meine erste Begegnung mit Kreisau werden für mich persönlich also immer ganz eng miteinander verknüpft sein: eine schöne Symbolik. Meine ehrenamtliche Tätigkeit für das Kreisauer Netzwerk begann dann noch einmal ganz neu, als ich mich ab 2009 im Vorstand der Kreisau-Initiative engagierte und später auch Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung Kreisau wurde.
Motivation und Werte
Dorota Nahrebecka-Sobota: Der größte Wert waren und sind für mich immer die Menschen. Ich arbeite gerne mit Menschen zusammen und behandle sie immer so, wie ich gerne selbst behandelt werden möchte. Mit dieser Haltung ist es mir in jeder meiner bisherigen Positionen gelungen, positive Beziehungen aufzubauen und viele Projekte und Aufgaben erfolgreich zu erfüllen.
Ole Jantschek: Ich bin neben meinem Engagement in Kreisau beruflich in der politischen Bildung tätig. Meine wichtigste Motivation kommt aus dieser Praxiserfahrung als Trainer und Moderator. Ich habe selbst erlebt, dass politische Bildung und internationale Begegnungen ganz besondere Momente und Lernerfahrungen ermöglichen. An dieser Stelle kann ich sehr gut an Dorota anknüpfen: Es sind die Menschen, ihre Erfahrungen, Ideen und Begeisterungsfähigkeit, die die Basis unserer Arbeit darstellen. Gerade in internationalen Begegnungen können Teilnehmende Vielfalt erleben und die eigenen Perspektiven hinterfragen. Sie können gemeinsam Zukunftsentwürfe entwickeln, sich gegenseitig bestärken und zusammen aktiv werden. In Zeiten, in denen an vielen Orten in Europa gerade die Menschen, die sich engagieren, mit Anfeindungen zu kämpfen haben, ist es unglaublich wichtig, dass es Organisationen wie die Stiftung Kreisau gibt. Daraus schöpfe ich meine Motivation, mich als Vorsitzender des Stiftungsrats zu engagieren.
Die Rolle der Stiftung in herausfordernden Zeiten
Ole Jantschek: Die Zeiten sind wirklich ziemlich herausfordernd. Für zivilgesellschaftliche Organisationen wird es immer schwieriger, in einem dynamischen Umfeld feste Strategien zu verfolgen, die dann mit den praktischen Realitäten clashen. Deswegen haben wir in den vergangenen zwei Jahren eine neue Strategie für die Stiftung Kreisau mit dem Titel „Stabilität und Entwicklung in herausfordernden Zeiten“ auf den Weg gebracht. Das Wichtigste dabei: Es ist ein Dokument, das gemeinsam erarbeitet wurde – vom Vorstand und den Mitarbeitenden der Stiftung Kreisau und den Ehrenamtlichen in Stiftungsrat und Aufsichtsrat. Wir haben uns dabei immer wieder gefragt: Wer sind wir? Was wollen wir bewirken? Und welche Ziele wollen wir aller Herausforderungen zum Trotz im Blick behalten? Die Inspiration war das Konzept einer Nordstern-Strategie, die sich auf die wichtigsten Orientierungspunkte konzentriert, die man auch dann noch im Blick behalten kann, wenn man zwischendurch mal vom Kurs abkommt. Die Stiftung beschreibt darin ihr Selbstverständnis als mitteleuropäisches Kompetenzzentrum für Begegnung und internationalen Dialog. Und wir machen deutlich, dass wir uns mit unserer Bildungsarbeit aktiv für ein Europa der Bürgerinnen und Bürger einsetzen, in dem die Menschenrechte und demokratische Prinzipien geachtet werden.
Dorota Nahrebecka-Sobota: In den heutigen unruhigen Zeiten soll die Stiftung ein Ort sein, wo Vielfalt selbstverständlich ist, wo die Sprache, das Geschlecht, die Herkunft oder die Hautfarbe des Gegenübers nicht als Störfaktor wahrgenommen werden. Sie soll ein Zentrum sein, wo modernes Lernen gefördert und die besten Lernmethoden aus ganz Europa angewandt werden. Sie soll auch auf die Aktualität der Idee eines vereinten Europas hinweisen.
Baustelle Bildung
Dorota Nahrebecka-Sobota: Bereits im 16. Jahrhundert sagte der Hetman Zamoyski: „So wird Polen sein, wie seine Jugend erzogen …“. Bildung ist heute eine der wichtigsten Säulen der Gesellschaft, insbesondere jetzt, in so dynamischen Zeiten. Wissen ist eine Schlüsselressource in der Wirtschaft: eine Quelle der Wettbewerbsfähigkeit und des Wohlstandes der Bürger*innen. Allerdings unterscheiden sich Art und Weise der Wissensvermittlung und auch die Inhalte ganz deutlich von dem, an was wir gewöhnt sind – und das ist auch richtig so. Der Prioritätenwechsel soll nicht nur durch öffentliche Einrichtungen gefördert werden, sondern auch durch Träger wie die Stiftung Kreisau. Indem sie konkrete Haltungen fördern und als eine Austauschplattform für Ideen und Erfahrungen dienen, können sie im bedeutenden Maße zur Reform und Weiterentwicklung der Bildung beitragen, die auf die Fähigkeit, die Kenntnisse in der Praxis anzuwenden; gekonntes Nutzen der Informations- und Kommunikationstechnik sowie Zukunftskompetenzen wie kreatives Denken, Problemlösung und die Fähigkeit, in einem multikulturellen, vielfältigen Umfeld zu arbeiten, ausgerichtet ist.
Ole Jantschek: Was nehmen junge Menschen mit, wenn sie nach ein paar Stunden oder Tagen wieder aus Kreisau abreisen? Die Antworten sind – hoffentlich! – sehr vielfältig. Ich bin optimistisch, dass die Teilnehmenden Kreisau als einen Ort erleben, der von einem respektvollen Umgang, Kreativität, Nachdenklichkeit und kritischem Denken geprägt ist. Und dass sie danach oft mit mehr Neugier, Sensibilität und Verantwortungsgefühl auf die Welt schauen. Sei es mit Blick auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts, unsere heutige demokratische Kultur das Thema Nachhaltigkeit.
Wir müssen uns als diejenigen, die Angebote der politischen Bildung und des internationalen Jugendaustauschs konzipieren, immer wieder kritisch fragen, was wir mit einem Angebot konkret bewirken können. Dazu gehört auch die Einsicht, dass unser Handeln nur eine begrenzte Reichweite hat. Umso wichtiger ist es, sich zu fokussieren und auch Dinge, die auf den ersten Blick wichtig scheinen, sein zu lassen. Als Mitglieder des Stiftungsrats sollten wir dazu Anregungen geben, beraten und critical friends sein, aber wir dürfen die Arbeit der pädagogischen Mitarbeiter*innen nicht mit Erwartungen oder Ideen überfrachten.
Mit Blick auf die aktuelle gesellschaftliche Stimmung und eine bedrohliche Infragestellung der Demokratie in vielen Staaten Europas wünsche ich mir, dass Kreisau Lust auf Teilhabe macht. Ja, es sind herausfordernde Zeiten. Komplexe Probleme brauchen komplexe Antworten. Und das kann wirklich anstrengend sein. Aber gerade die Geschichte(n) Kreisaus geben auch Mut nicht zu verzagen. Und wo immer es uns gelingt, junge Menschen zu empowern, Dialoge anzustiften und im besten Sinne miteinander über eine gute Zukunft zu streiten, ist etwas gewonnen.
Das Potenzial Kreisaus für die Zukunft Europas
Dorota Nahrebecka-Sobota: Kreisau hat das Potenzial, ein bedeutender Punkt auf der Karte des vereinten Europas zu sein. Die Polarisierung der Gesellschaften in ganz Europa ist eine Tatsache. Deshalb ist es so wichtig, einerseits die möglichen Folgen dieser Haltungen aufzuzeigen, andererseits das Bewusstsein dafür zu stärken, was uns Vielfalt und Respekt für andere Meinungen bringen. Ich freue mich, dass es in Kreisau eine Europäische Akademie gibt – einen Raum, in dem es möglich ist, die sich verändernde Welt kreativ zu reflektieren. Dabei sollte diese Reflexion von einem offenen Dialog begleitet werden, der darauf ausgerichtet ist, Fragen, oftmals grundlegende, zu stellen und gemeinsam nach Antworten zu suchen. Bewusste, aufgeschlossene Haltungen zu prägen, kann ein Schlüssel zu einem bürgerfreundlichen Europa sein.
Ole Jantschek: Ich finde, der gemeinsame Claim, den sich die Stiftung Kreisau, die Kreisau-Initiative und die Freya von Moltke-Stiftung für das neue Kreisau gegeben haben, bringt es super auf den Punkt: „In Kreisau bauen wir heute mit jungen Menschen ein Europa engagierter Bürgerinnen und Bürger.“ Wir sollten uns immer wieder die Frage stellen, wie wir junge Menschen ermutigen und unterstützen können, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren. Es gehört zu einer der Grundideen des Kreisauer Kreises und der Stiftung Kreisau, dass Verantwortung ganz konkret in der Gemeinschaft erlebt und übernommen werden muss. Wir sollten also Räume öffnen, in denen Menschen genau dies tun können – indem sie Neues lernen, von anderen inspiriert werden und sich vernetzen. Ich hoffe, dass auch die polnische und die deutsche Regierung, dieses Potential der Stiftung Kreisau noch stärker wahrnehmen und als Ressource für die Weiterentwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen in Europa sehen.