Mitteilung der Kopernikus-Gruppe

Der deutsch-polnische Gesprächskreis Kopernikus-Gruppe traf sich zu seiner vierzigsten Sitzung vom 24. bis 26. November 2022 in Warschau. Das vorliegende Arbeitspapier „Deutschland und Polen – das Vertrauen wiedererlangen“ fasst die gemeinsamen Überlegungen des Kreises zusammen.

 

Prof. Dr. Waldemar Czachur, Warschau

Prof. Dr. Peter Oliver Loew, Darmstadt

 

15.12.2022



Deutschland und Polen – das Vertrauen wiedererlangen

Arbeitspapier XXXII der Kopernikus-Gruppe

 

Deutschland und Polen befinden sich in großen Vertrauenskrisen. Die Glaubwürdigkeit beider Staaten hat in den letzten Jahren starken Schaden genommen. Gemeinsam kann es ihnen gelingen, diese Krisen zu überwinden. Dafür ist ein intensiver deutsch-polnischer Dialog die Voraussetzung.

Die deutsche Glaubwürdigkeitskrise ist eng mit dem Vorwurf verbunden, keine adäquate Antwort auf Russlands Angriff auf die Ukraine gefunden zu haben. Das jahrelange Festhalten Berlins an einer energiepolitischen Zusammenarbeit mit Russland hat ebenso dazu beigetragen wie die deutsche Weigerung, die Sicherheitsbedürfnisse der Staaten Ostmitteleuropas – darunter Polens – wirklich ernst zu nehmen. Zwar sprach Kanzler Olaf Scholz schon wenige Tage nach Kriegsbeginn von einer „Zeitenwende“ in der deutschen Politik, doch die zögerliche Unterstützung für die Ukraine minderte den Glauben daran, dass die neue Osteuropapolitik Berlins konsequent sein würde.

Die polnische Glaubwürdigkeitskrise verbindet sich vor allem mit dem Vorwurf, die Rechtsstaatlichkeit beschädigt zu haben. Dazu trug die Aufweichung der Gewaltenteilung bei, der Missbrauch der öffentlich-rechtlichen Medien als Propagandakanäle und die massiven verbalen Angriffe sowohl auf die Europäische Union als auch auf Deutschland. Aus diesem Grund ist Polens Ansehen etwa in den Augen der Vereinigten Staaten bereits lädiert. Für eine demokratische, freie Ukraine wäre es von zentraler Bedeutung, Polen als einen liberalen, europäisch bestens integrierten Rechtsstaat zum Nachbarn zu haben.

Unsere beiden Länder können einander auf denjenigen Gebieten, auf denen die Glaubwürdigkeit des Nachbarn lädiert ist, helfen: Deutschland versteht sich als einer der Schlüsselstaaten der Europäischen Union und hat die Gemeinschaften seit ihrer Gründung mitgeprägt. Es wäre in der Lage, Polens Rückkehr auf die Grundlage der Verträge zu erleichtern. Polen versteht sich als einer der wichtigsten Unterstützer der Ukraine. Es wäre in der Lage, Deutschland dabei zu helfen, seine Position als verlässlicher Sicherheitspartner in der Region wiederzufinden.

Damit es soweit kommt, sind konstruktive Schritte auf beiden Seiten notwendig. 

Um das Vertrauen in Deutschland bei seinen Partnern in Ostmitteleuropa, speziell in Polen, wieder herzustellen, muss Berlin seine gescheiterte Russlandpolitik aufarbeiten. Dieser Prozess muss auch für das Ausland sichtbar angestoßen werden – ob nun durch eine öffentliche Diskussion oder eine Parlamentsdebatte. Die polnische Führung, die stets vor einer engen Zusammenarbeit mit Moskau und davor, sich von Russland abhängig zu machen, gewarnt hat, kann dabei eine Hilfe sein. Eine Aufarbeitung deutscher Russlandpolitik kann zusammen mit den polnischen Partnern unter Berücksichtigung polnischer Erfahrungen in Deutschland stattfinden. Polen kann seinen westlichen Nachbarn dabei unterstützen, die richtigen Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, so dass Deutschland sich nie wieder dermaßen von einem Staat abhängig macht, der sich gegen Europa und die westliche Gemeinschaft definiert und ihr letztlich feindlich gegenübersteht.

Um das Vertrauen in Polen bei seinen Partnern in Europa wieder herzustellen, muss die Regierung in Warschau ihren Umgang mit dem Rechtsstaat, aber auch mit den Nachbarn in Europa aufarbeiten. Dieser Prozess muss deutlich sichtbar und konsequent angestoßen werden, auch wenn dies angesichts der extremen politischen Polarisierung und der ideologischen Aufladung fast aller Politikfelder schwierig sein wird. Deutschland kann seinen östlichen Nachbarn dabei unterstützen, Wege der Kompromissfindung einzuschlagen. Sinnvoll hierfür wäre freilich auch ein Ende der antideutschen Kampagne und Zeichen für einen grundlegenden Wandel. 

Gefragt sind gemeinsame deutsch-polnische Initiativen, sich gegenseitig in den Vertrauenskrisen zu helfen. Gespräche auf allen Ebenen, bei Politik, Experten und in der Zivilgesellschaft, müssen den Grund für eine neue Zusammenarbeit vorbereiten. Von beiden Seiten ist eine neue Empathie für den Nachbarn gefragt: Wir brauchen einen deutsch-polnischen Aufbruch für Europa, dem Vergangenheitsthemen (Stichwort: Reparationen) nicht im Wege stehen, sondern der die Vergangenheit als Chance für die Zukunft begreift (Stichwort: Gedenkort für Polen in Berlin und Diskussionen über Entschädigungen). Zukunftskonzepte sowohl für eine neu gedachte europäische Sicherheitsarchitektur als auch für eine Stärkung rechtstaatlicher Prinzipien in Europa können jeweils bilateral oder auch in Zusammenarbeit mit weiteren Staaten entstehen. Damit könnte Europa nicht nur zukunftsfest gemacht werden, sondern sich auch auf eine Aufnahme der Ukraine in die Europäische Union vorbereiten, die zwangsläufig zu einer weiteren Schwerpunktverlagerung in Europa nach Osten und damit zu einer steigenden Bedeutung der Achse Berlin-Warschau führen wird. Um die Bedenken von Paris und anderen Ländern des Westens vor einer solchen Veränderung zu zerstreuen, wäre ein abgestimmtes Auftreten Deutschlands und Polens umso wichtiger. 

Eine Politik der kleinen Schritte und der intensiven Hintergrundgespräche sollte diesen neuen Aufbruch vorbereiten. Die Begegnung der Staatspräsidenten Duda und Steinmeier vor wenigen Tagen könnte ein erster Schritt in diese Richtung gewesen sein. Wir müssen unsere Nachbarschaft in Europa so gestalten, dass niemand mehr dem anderen den erhobenen Zeigefinger oder gar den Stinkefinger zeigt. 

Die Kopernikus-Gruppe ist ein Projekt des Deutschen Polen-Instituts und der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung

 

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