Das Jahr 2020 wird uns wegen der COVID-19-Pandemie als ein sehr schwieriges Jahr in Erinnerung bleiben – als eine Zeit, in der das Schmieden von Plänen für die Zukunft der Sorge um die eigene Gesundheit und die der Angehörigen sowie der Angst um den Arbeitsplatz und das sichere Morgen weichen musste. Unter solchen Umständen musste sich die Tätigkeit der Stiftung Kreisau zwangsläufig ändern. Viele Pläne, die wir in diesem Jahr verwirklichen wollten, wurden auf später verschoben, bei vielen von ihnen mussten wir Veränderungen vornehmen oder nach anderen Möglichkeiten suchen, sie in die Tat umzusetzen.    

2020 sollte für die Stiftung ein überaus fruchtbares Jahr sein. So rechneten wir mit einer rekordverdächtigen Anzahl von Projekten und Besuchern. Allein in dem Zeitraum von März bis Juni waren in Kreisau 69 mehrtägige Projekte vorgesehen, an denen knapp 3.000 Personen teilnehmen sollten. Es handelte sich dabei hauptsächlich um deutsch-polnische Schüleraustausche. Der Lockdown in Polen und in anderen Ländern Europas durchkreuzte all diese Pläne. Innerhalb weniger Wochen mussten wir die Art und Weise, wie wir an die Umsetzung unserer Projekte herangingen, bei denen doch die Jugendaustausche und Begegnungen von Menschen aus verschiedenen Ländern immer die wesentlichsten Bestandteile ausmachten, komplett ändern. In diesem Krisenjahr waren wir gezwungen, Lösungen für zwei Hauptprobleme zu finden: Wie soll die Stiftung Kreisau überdauern und wie kann sie trotz allem ihren Auftrag wahrnehmen.

Mit der Absage nahezu aller Projekte fiel ein beträchtlicher Teil unserer Einnahmen weg. Die Gefahr, Mitarbeiter entlassen, ja, sogar die Stiftungsinsolvenz anmelden zu müssen, war plötzlich sehr real. In dieser Situation ergriffen wir eine Reihe von Maßnahmen, die uns vor diesen schlimmsten Szenarien bewahren sollten. So kürzten wir die Gehälter unseres ganzen Teams, änderten das Format einiger unserer Projekte, damit sie online durchgeführt werden können, appellierten an unsere Partner und Freunde um Unterstützung und wandten uns mit der Bitte um eine außerordentliche Hilfe an die Regierungen Polens und Deutschlands, deren politische und finanzielle Unterstützung vor dreißig Jahren die Gründung der Internationalen Jugendbegegnungsstätte (IJBS) möglich gemacht hatte.

Die unternommenen Maßnahmen zeigten Effekte. So erhielten wir Unterstützung seitens unserer Partner und Freunde – mit dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk, der Gemeinde Schweidnitz/Świdnica und der Kreisau-Initiative e. V. an der Spitze –, aber auch von individuellen Spendern. Wir profitierten von dem von der polnischen Regierung angebotenen Anti-Krisen-Schild. Wir erhielten auch eine besondere Zuwendung von der deutschen Regierung, ohne die es für uns sehr schwierig gewesen wäre, diese schwere Zeit zu überstehen. Darüber hinaus wurden wir von den Stiftungsgremien unterstützt, allen voran vom Aufsichtsrat. Unsere Mitarbeiter setzten, obwohl sie in Teilzeit arbeiteten, die Projekte mit vollem Engagement um und warben Zuschüsse für weitere Vorhaben ein. Dadurch gelang es uns, die Finanzstabilität der Stiftung bis zum Ende des Jahres zu sichern.

Ein Problem ist nach wie vor zu lösen: Wie kann man unter den neuen Umständen, unter den Corona-Schutzauflagen tätig sein? Wie kann man Projekte auf höchstem inhaltlichen Niveau anbieten und gleichzeitig alle mit der andauernden Epidemie verbundenen Einschränkungen  einhalten? Die Methoden, die wir seit Jahren angewandt haben, die sich auch bewährt haben und die bis ins Detail ausgearbeitet waren, erwiesen sich als unbrauchbar. Wir konnten keine Jugendgruppenbegegnungen veranstalten, blieben mit ihnen aber in Kontakt. Wir erstellten ein neues, online umsetzbares Programmangebot und versuchten weiterhin, Kreisau zu einem Ort der Begegnung, und sei es nur virtueller Art, zu machen. 

Im Frühjahr und Sommer führten wir im Internet einige Dutzend Webinare und Workshops durch, an denen Schüler sowie Lehrer aus Deutschland und Polen teilnahmen. In dieser Zeit fanden zwei LIVE-Unterrichtsveranstaltungen aus Kreisau statt, die auf den Kanälen der Bundeszentrale für Politische Bildung übertragen wurden. Online organisierten wir auch unsere zyklisch angelegten bzw. langfristigen Projekte, wie das Seminar „Wege der Freiheit“, das Projekt „#CreatingSpace A Digital Future with Ethics in Mind”, Schulungen zum Globalen Lernen oder Veranstaltungen im Rahmen von „Schulen des Dialogs“. Gemeinsam mit unserem Partnerverein aus Berlin – der Kreisau-Initiative – veranstalteten wir zum ersten Mal online das BarCamp „(Hi)Storytelling: My History, Your History, Our History". Zurzeit wird ein Dokument mit Empfehlungen vorbereitet, die im Rahmen dieser Veranstaltung zu modernen und virtuellen Formen historischer Bildung in verschiedenen Ländern formuliert wurden.

Da es immer wieder Probleme mit der Verfügbarkeit ansprechender und wertvoller Lehrmaterialien gibt, die Lehrer beim Fernunterricht nutzen könnten, erarbeiteten wir Szenarien sowie audiovisuelle Materialien, mit denen der Onlineunterricht attraktiver gestaltet werden kann. Im Rahmen des Projekts „(Un)friede 1945” wurden Podcasts erstellt. Hierbei handelt es sich um Gespräche mit Historikern über die moderne Geschichte sowie um Unterrichtsszenarien. Weitere Szenarien, diesmal zum gesellschaftlichen Dialog, wurden im Rahmen des Projekts „Dialog- und Versöhnungslabor” konzipiert. Ein besonderes Format – das der „Unterrichtsveranstaltungen aus Kreisau” – weisen auch die im Rahmen des Vorhabens „Europa ist nicht zustande gekommen, wir haben den Krieg gehabt“ entstandenen Filmbeiträge auf. In jedem der acht Teile werden Geschichte, Ideen oder die Tätigkeit der Stiftung Kreisau vor dem Hintergrund der Geschichte Europas – ihrer Konflikte, Versöhnung und Integration – vorgestellt.  

Während der Sommerferien konnten wir uns wenigstens für einen Augenblick an die Atmosphäre von Kreisau erinnern, wie sie vor der Pandemie herrschte. So gelang es uns, unsere Sommerprojekte sowie internationale Kinder- und Jugendbegegnungen in nahezu gewohnter Weise durchführen. Den einzigen Unterschied bildeten dabei die allgegenwärtigen Mundschutzmasken, Desinfektionsflüssigkeiten und der körperliche Abstand. Es fanden auch die alljährlichen Musikprojekte statt: der Meisterkurs „Meisterschüler“, das Summer Guitar Festival, das Internationale Flamenco-Festival, das Internationale Kammermusikfestival Krzyżowa-Music sowie – erstmals – der Indische Tanzsommer in Kreisau.

Es war uns allen eine Freude, zuzusehen, wie das Leben in Kreisau wieder langsam zu pulsieren beginnt. Der Herbst brachte jedoch eine weitere Pandemiewelle mit sich. Und mit ihr kamen erneut Einschränkungen in Polen und in anderen Ländern. Heute blicken wir mit Sorge in die Zukunft. Wir sind aber reicher an Erfahrungen, die uns dabei helfen, uns an die neuen Bedingungen anzupassen. Wir wissen, dass wir dank Kreativität, Zusammenarbeit und gegenseitigem Wohlwollen selbst unter ungünstigen Voraussetzungen viel erreichen können. Das kommende Jahr – 2021 – wird vermutlich nicht einfach sein. Die Stiftung Kreisau wird aber ihren Auftrag weiterhin bestmöglich wahrnehmen. Davon sind wir fest überzeugt.

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