Herzlich laden wir Sie zur Lektüre unserer subjektiven Presseschau ein. Die Artikel sind in den vergangenen Tagen erschienen und wir hoffen, dass sie für Sie interessant oder überraschend sind oder auch zu Diskussion und Widerspruch anregen. Es geht nicht darum, mit allen versammelten Ansichten übereinzustimmen sondern darum, bewußt wahrzunehmen, wie die uns umgebende Wirklichkeit von anderen gesehen wird. Es lohnt sich, mehr als eine Perspektive zu kennen.
(…) Berlin - Deutschland hat nicht nur ein altes, sondern auch ein neues Antisemitismus-Problem. Die Identität der Deutschen ist vom Holocaust nicht abzulösen. Die Verantwortung für dieses Menschheitsverbrechen ist mit einer besonderen Verantwortung für den Staat Israel verbunden. Sie zeigt sich nicht nur als Teil der deutschen Staatsräson, sondern gerade auch in der engen Kooperation mit Menschen in diesem Staat und ihren Institutionen. Es grenzt an ein Wunder, dass Juden und Jüdinnen der dritten und vierten Generation nach dem Holocaust wieder in Deutschland leben und hier eine Grundlage für ihre Existenz gefunden haben.
(…) Mit einer Kiste voller Bücher unter dem Arm läuft Anselm Lenz über den Berliner Rosa-Luxemburg-Platz. Etwas überdreht, aber aufgeschlossen verteilt er dünne Schriften an Passanten – es sind Grundgesetze. Am letzten Samstag im März versammeln sich erstmals 40 Menschen vor der Volksbühne. Lenz hat sie über den von ihm gegründeten Verein „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ eingeladen. Es ist die erste „Hygienedemo“ gegen die Coronamaßnahmen. (…) Hinter den vermeintlichen Bürgerrechtsprotesten kommen seltsame Überzeugungen zum Vorschein: Die Gefährlichkeit von Covid-19 wird geleugnet und die Maskenpflicht wird abgelehnt – das verbindet sie. Beliebt ist es inzwischen auch, Bill Gates für das Virus verantwortlich zu machen und Furcht vor Zwangsimpfungen zu schüren. Von den Berichten über die Hygienedemos auf Youtube-Kanälen ist es nur ein Klick bis zur nächsten großen Verschwörung. Kritik an Verschwörungsmythen nehmen die Gläubigen sogleich als Beleg für den „undemokratischen Mainstream“. Sich selbst betrachten sie als Aufklärer, Querdenker oder schlicht als Volk.
(…) Der Klimawandel stellt Wirtschaft und Gesellschaft vor enorme Herausforderungen. Nur eine Lebensweise, die ökologische und psychologische Wachstumsgrenzen respektiert und den Verzicht übt, sei da zukunftsfähig, sagt der Volkwirtschaftsprofessor Niko Paech. Er nennt sein Konzept "Postwachstumsökonomie". Im Interview mit heise online legt er dar, was das für Politik, Wirtschaft und die Technikwelt bedeuten würde.
- Wenn der Sieg über die Nazi-Diktatur keine Befreiung war – von Ivan Krastev. Deutsche Welle / dw.com
(…) 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird es wegen COVID-19 in keiner europäischen Hauptstadt größere Feiern zu diesem Anlass geben. Aber es ist nicht nur das Coronavirus, das Europa heimgesucht hat - es ist auch das Virus des Geschichtsrevisionismus. Was wir in Russland und einigen osteuropäischen Ländern erleben, ist eine Bewaffnung des Gedenkens an den Krieg. Es gilt als Verbrechen, die Sichtweise der Regierung abzulehnen.
(…) taz: Herr Meckel, die bundesdeutsche Erinnerungskultur wird international viel gelobt. Gibt es noch Unbearbeitetes darin?
Markus Meckel: Dass unter der „Obhut“ der Wehrmacht mehr als drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene umgekommen sind, ist im deutschen Geschichtsbewusstsein kaum präsent. Ähnliches gilt für Belarus, wo fast ein Drittel der Zivilbevölkerung dem NS-Krieg zum Opfer fiel. Das Massaker im französischen Oradour ist bekannt, dass in 605 Dörfern in Belarus Ähnliches geschah, nicht. All das darf man nicht gegeneinander ausspielen. Man muss es in einem weiten Blick integrieren. Die rassistische Ideologie der Nazis spiegelte sich direkt in der unterschiedlichen Kriegsführung und Besatzung in Ost und West wider. Das ist zu wenig bekannt.
(…) Die weltweite Verbreitung von Covid-19 führt uns die Konsequenzen unserer Lebensweise vor Augen. Im Virus begegnen wir unserem Selbst und unserer Beziehung zur Natur. Aus den Fehlern sollten wir lernen.
Zum Achten Mai nur über Deutschland nachzudenken, hieße den globalen Charakter des Zweiten Weltkriegs missachten. Das sei hier vermieden. Was ist der Historische Ort des Achten Mai? Anders gefragt: Was hat sich am und seit dem 8. Mai 1945 verändert? In Deutschland und darüber hinaus.
Bezogen auf Deutschland lautet die Frage: „War es Befreiung?” Ja, lautet die Antwort aus heutiger Sicht ethisch überzeugend – doch völlig ahistorisch, ja sogar antihistorisch. Weshalb? Weil die geschichtliche Einordnung der jeweils untersuchten Vergangenheit selbstverständlich auch, doch keinesfalls nur aus der beschreibenden und bewertenden Gegenwartssicht des jeweiligen Historikers vorzunehmen ist. Die Sicht der damals Lebenden muss ebenfalls berücksichtigt werden. Alles andere wäre unvollständig. Das ist leichter gesagt als gedacht und getan, weil oft von Einzelnen auf die Gesamtheit geschlossen wird. Doch die Damaligen dachten, meinten und fühlten so wenig einheitlich wie die Heutigen.
Jehuda Bacon war als Kind in Theresienstadt, Auschwitz und Mauthausen. Doch im Unterschied zu seiner Familie hat er den Holocaust überlebt, wohl auch wegen der Perfidie der Nationalsozialisten. Diese wollten in Auschwitz ein paar alte Menschen und Kinder "in Reserve" haben. Sie sollten die Weltöffentlichkeit über den wahren Zweck des Vernichtungslagers täuschen, falls das Internationale Rote Kreuz auf einem Besuch in Auschwitz bestanden hätte.
Dass der heute 90-Jährige nach dem Holocaust ins Leben zurückgefunden hat, dabei hat ihm sein Zeichnen geholfen, durch das er seine Erlebnisse verarbeiten konnte. Vor allem aber waren es Begegnungen mit humanistisch geprägten Menschen, die ihm bis heute als Vorbild dienen. Seit über 60 Jahren erzählt der sehr still und bescheiden Auftretende vor allem jungen Menschen von seinen Erfahrungen in Auschwitz. Und macht dabei deutlich, was er aus jener Zeit gelernt hat: Dass der andere ist so wie ich: ein Mensch.
(…) Im Führerbunker: Hitler tot. Auf den Straßen: zertrümmerte Ruinen, aus denen noch der Rauch des Krieges aufsteigt. Im Mai 1945 steht Berlin vor einer Stunde Null – nur in einem kleinen Haus in Bruchmühle am östlichen Stadtrand, das sich der politische Stab der einrückenden Roten Armee gesichert hat, ist man der Zeit voraus.
Dort sitzt Walter Ulbricht, ein deutscher Kommunist, der vor den Nazis nach Moskau geflohen war und nach zwölf Jahren Exil kadergeschmiedet ins besetzte Berlin eingeflogen wurde, mit neun Getreuen an einem ovalen Nussbaumtisch und sagt mit seiner nach einer Kehlkopfoperation fistelnden Stimme: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“
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Die Presseschau konnte dank der Unterstützung folgender Personen vorbereitet werden:
- Sarah Reinke, Projektleiterin, Stiftung Adam von Trott Imshausen e.V., Mitglied der Gedenkstätten- und Europäische Akademiekommission der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung.
- Dr. habil. Pierre-Frédéric Weber. Wiss. Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Universität Stettin. Mitglied der Gedenkstätten- und Europäische Akademiekommision der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung.