Daher, dass viele von uns der Umstände wegen mehr Zeit zuhause verbringen, würden wir gerne jede Woche ein Buch aus Kreisau empfehlen, das es– unserer Meinung nach – verdient, wieder hervorgehoben zu werden.
Als Anfang möchten wir euch empfehlen, eure Aufmerksamkeit auf den Text von Ewa Fiuk zu lenken, die sich der deutsch-polnischen Kinematographie verschrieben hat. Zur Zeit verbringen einige von uns viel mehr Zeit mit Streaming-Diensten. Also vielleicht ist es zwischen den aufeinanderfolgenden Folgen deiner Lieblingsserie an der Zeit darüber zu lesen, wie die Kooperation zwischen deutschen und polnischen Filmemachern funktionierte? Wir finden, es ist einen Versuch wert!
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Ewa Fiuk, Zaungäste – polnische und deutsche Kinematographie nach 1989 im gegenseitigen Kontext und Dialog
„Nachbarschaft verpflichtet”, so beschreibt Prof. Hubert Orłowski, der Herausgeber der Reihe „Poznańska Biblioteka Niemiecka”, in aller Kürze den Sinn der deutsch-polnischen Beziehungen und die Notwendigkeit, einander auf gesellschaftlichem und kulturellem Gebiet kennenzulernen. Diese Worte seien gleichsam als Motto dem vorliegenden Beitrag vorangestellt, verpflichtet doch auch die filmische Nachbarschaft zur gegenseitigen Erkundung. Filme liefern einerseits Bilder der uns umgebenden Welt, andererseits stimulieren sie unsere Vorstellungskraft, regen dazu an, die Wirklichkeit auf eigene Weise zu deuten, und beeinflussen so deren Rezeption. Mitunter ist dies die Wirklichkeit eines Nachbarlandes und sejner Einwohner. (…)
(…) Bis zum Fall der Berliner Mauer standen die deutsch-polnischen Filmkontakte im Zeichen zweier geopolitischer Ordnungen: Filmemacher aus der Volksrepublik Polen unterhielten Kontakte zu Filmemachern und Produzenten aus der Bundesrepublik und der DDR und arbeiteten mit ihnen zusammen, wobei die Kooperation zwischen Polen und Deutschen aus dem Westen intensiver ausfiel als die vergleichbare Zusammenarbeit mit Künstlern aus dem Osten. Das Kapital und die künstlerische Freiheit, die eine Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik garantierte, übten auf polnische Regisseure wahrscheinlich eine stärkere Anziehungskraft aus als die sozialistischen Bande mit der DDR.
(…) Die Entwicklung der deutsch-polnischen Filmbeziehungen trat nach der gesellschaftlich-politischen Wende von 1989/90, die Veränderungen auch im Bereich der Kinematographie einläutete, in eine neue Phase ein. Durch die Wiedervereinigung Deutschlands wurden zwei Produktionsstrukturen und Filmtraditionen vereinigt – die ost- und die westdeutschen. In Polen entstanden infolge der Systemveränderungen nicht nur neue Voraussetzungen für die Filmproduktion, sondern es kamen auch neue plotartige und ästhetische Inspirationen zum Vorschein, die mit den Veränderungen der außerfilmischen Wirklichkeit zu tun hatten. Ein überaus wichtiges Ereignis, das der Logik der Transformation entsprach, war der Beitritt Polens zur Europäischen Union im Jahre 2004. Im Grunde machte eben erst die Konsolidierung der neuen geopolitischen Ordnung in Europa eine multidimensionale Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen, auch auf dem Gebiet des Films, möglich. Antagonismen, von denen die Beziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik sowie der Volksrepublik Polen und der DDR beherrscht waren, vor allem die bis Anfang der 1990er Jahre bestehenden Einschränkungen im Bereich der räumlichen Personenmobilität sowie des Kulturtransfers, erschwerten die gegenseitige Inspiration und den Dialog.
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* Der Text wurde veröffentlicht in: (Un)versöhnt? Gedanken über die deutsch-polnischen Beziehungen nach 1945, Tomasz Skonieczny (Hg.), Wrocław 2019.