Informelle Bildung bei Jugendlichen ist eine ungemein verantwortungsvolle Aufgabe, die viel Raum bietet, um an bestimmte Fragen und Themen auf eine nicht schablonenhafte Art und Weise heranzugehen. Wie weit kann diese Unkonventionalität dabei gehen? Darüber können Sie in dem Essay lesen, den die Mitautorin des Szenarios für ein Verhandlungsspiel unter dem Titel „Wie kann man einen Drachen besiegen und dabei zu Ruhm und Reichtum gelangen?” für uns verfasste. Das Szenario wird in der gerade in Vorbereitung befindlichen Publikation der Stiftung Kreisau enthalten sein.

Die Stiftung Kreisau ist dabei, eine weitere Publikation mit Workshop-Szenarien zu erstellen. Sie sollen eine inklusive Bildung unterstützen, die Mechanismen der Demokratie verständlicher machen, verdeutlichen, dass Verhandlungen nicht zum Aufeinanderprallen von Interessen führen müssen, und dabei helfen, empathische Haltungen bei Cybergewalt zu entwickeln.

Um bereits heute zu zeigen, dass es sich lohnt, auf diese Materialien zu warten, laden wir Sie dazu ein, sich mit dem Text von Agnieszka Subik-Skonieczna „Schwerter, Drachen und Blaster. Zur Wirklichkeit bei Verhandlungsspielen” bekannt zu machen.

Agnieszka Subik-Skonieczna, Schwerter, Drachen und Blaster. Zur Wirklichkeit bei Verhandlungsspielen

Verhandlungs- und Kommunikationsspiele gehören zu den interessantesten Instrumenten, derer sich eine Lehrkraft bedienen kann, um den Bildungs- oder Erziehungsprozess vielfältiger gestalten zu können. Entscheide ich mich dafür, Jugendliche zum Spielen einzuladen, so stehe ich immer vor der Frage, welches Szenario ich wählen soll. Mit welchem Szenario lassen sich die Ziele, die ich der Gruppe stelle (bzw. die Belange der Gruppe, mit denen ich mich beschäftigen möchte), am besten verwirklichen? Mit welchen Herausforderungen sollen sich die Schüler auseinandersetzen, und welche Kompetenzen sollen sie dabei stärken bzw. erwerben? Und schließlich, was für mich ebenso wichtig ist: In welchen Realien soll es sich abspielen?

Die ersten beiden Fragen bedürfen einer guten Kenntnis der Gruppe sowie einer guten Einschätzung der Lage und der Bedürfnisse. Die Beantwortung der letzten von ihnen ist relativ leichter. In den meisten dieser Fälle setze ich auf Spiele, die möglichst stark von der Realität abweichen und die in der Welt der Magie, der Drachen oder der Weltraumkrieger angesiedelt sind.

Hierbei stellt sich dann häufig die Frage: Warum die Spiele in eine Fantasy- oder Science-Fiction-Welt übertragen? Warum nicht die Schüler praktisches Wissen erwerben lassen? Warum nicht die Schüler mit ihren realen Herausforderungen konfrontieren? Warum ihnen also nicht erlauben, das Szenario in der realen Welt durchzuspielen? Warum die Situation verkomplizieren und das Spiel in einer Welt der Magie ansiedeln, wenn wir doch den Schülern konkrete Verhaltensweisen beibringen möchten, die sie dann beim Gespräch mit einem Lehrer, einem Mitschüler, einem Elternteil und nicht mit dem Herrscher eines mit uns verfeindeten Königreiches an den Tag legen können? Werden die von ihrem alltäglichen Kontext losgelösten Spiele ihren Zweck nicht verlieren, wird dadurch ihr beabsichtigter Effekt nicht abgeschwächt?

Meine Erfahrungen zeigen, dass die Schüler häufig nicht so sehr die Teilnahme, sondern vielmehr ein größeres Engagement an Spielen ablehnen, die sich in der sogenannten realen Welt abspielen. Zwei Faktoren scheinen hier hinderlich zu sind. Zum einen erscheint ihnen das jeweilige Thema nicht nur nicht mitreißend, sondern gar uninteressant. Sie sehen nämlich – wie auch immer das klingen mag – nicht immer einen Zweck darin, alltägliche Geschehnisse nachzuspielen. Sie interessieren sich nicht dafür, einen Schulhaushaltplan zu erstellen oder eine Disco am Vorabend des Andreastages zu veranstalten. Zum anderen – und das ist der zweite, wichtigere Faktor – gibt es eine psychische Blockade. Spiele, die in der realen Welt stattfinden, bieten keine Möglichkeit, jemand anders zu sein und sich von bestimmten Schemata zu lösen. Die Schüler bleiben in ihren, häufig vom Klassenumfeld geprägten Rollen stecken, aus denen sie nicht herauskommen wollen oder auch nicht herauskommen können.

Gibt man ihnen aber die Chance, jemand anders zu verkörpern, sich von ihrem Selbstbild zu lösen, so fangen sie vielfach an, an das Problem kreativer heranzugehen, wobei sie sich aktiver und spontaner zeigen. Ich vermute, eine große Rolle spielt hierbei das fehlende Gefühl der Handlungsmacht (Agency), mitunter gar der Souveränität, woran auch wir, die Lehrer, schuld sind. Woran es den Schülern nämlich häufig mangelt, ist Selbstvertrauen – das Gefühl, dass sie etwas verändern können, dass sie von der Gruppe angehört werden. Deshalb wird auch die Rolle eines Ritters oder eines Vampirjägers zu ihrer Maske, die viele von ihnen – mehr oder weniger bewusst – seit Jahren aufsetzen, wenn sie Videospiele spielen, leidenschaftlich Fantasy- oder Science-Fiction-Bücher lesen oder Rollen in herkömmlichen RPG-Spielen übernehmen. Dies verschafft ihnen Behaglichkeit und ein gewisses Sicherheitsgefühl. So können sie immer mit der Reaktion der Gruppe umgehen, indem sie notfalls erklären: „Das bin ich nicht, das ist meine Figur.“ Diese Rollen bieten ihnen die Möglichkeit, sich vor anderen zu verstecken und zugleich etwas Neues bei sich selbst zu entdecken. Es kommt nämlich vor – und jedes Mal sehe ich darin etwas Wichtiges für mich als Pädagogin –, dass sich selbst die schüchternste und zurückhaltendste Person in der Gruppe plötzlich in der Rolle eines Königs, eines Raumschiff-Commanders oder eines Gruppenanführers zurechtfindet.

Es ist meine Überzeugung, dass Soft Skills, die junge Menschen während ihrer Teilnahme an Verhandlungs- und Kommunikationsspielen entwickeln bzw. erwerben, die sich in erfundenen Welten abspielen, einen ähnlichen Wert haben wie diejenigen, die bei Spielen erlangt werden, die „reale“ Herausforderungen thematisieren, mit denen sie potentiell (was gar nicht „in der Praxis“ heißt) häufiger zu tun haben werden als mit einer Situation, in der ein Königreich von einem Drachen heimgesucht wird. Natürlich ist dies kein Grund, darauf gänzlich zu verzichten, die Schüler mit Problemen zu konfrontieren, die eintreten können und deren Durchspielen sie dazu befähigen wird, sie geschickt und erfolgreich zu meistern, wenn (sofern) sich diese ergeben. Seien wir aber mal ehrlich: Derjenige, der es geschafft hat, drei verfeindete Königreiche zu einen, sollte keine Schwierigkeit damit haben, sich mit anderen darüber zu verständigen, wie eine Playlist für die Andreasnachtparty zusammengestellt wird.

received2782033248582918
received2992191127504004
received617570535638241
received2747884382003598

Das Projekt wird von der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung und der Konrad-Adenauer-Stiftung in Polen durchgeführt.

 

Europäische Akademie

Möchten Sie auf dem Laufenden bleiben?

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erfahren Sie so als erste(r) von den bevorstehenden Veranstaltungen!

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.