VOR GRÜNDUNG DER STIFTUNG
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging das Eigentum der Moltkes in einer Größenordnung von knapp fünfhundert Hektar Land auf einen staatlichen Landwirtschaftlichen Betrieb über und wurde mit anderen Ländereien vereinigt. Die Gebäude wurden weiter genutzt, aber vernachlässigt. So verfielen sie ab den siebziger Jahren mehr und mehr. Hin und wieder aber fanden Menschen Interesse an diesem Gebäudekomplex. Zwei von ihnen seien besonders erwähnt: der Breslauer Rechtshistoriker Professor Dr. Karol Jonca und der Amsterdamer Politologe Professor Dr. Ger van Roon.
Jonca hat sich seit den siebziger Jahren intensiv mit den Moltkes und dem Kreisauer Kreis beschäftigt und viele Veröffentlichungen hierzu herausgebracht. Dies geschah zu einer Zeit, da es in Polen alles andere als opportun war, sich mit dem deutschen Widerstand zu befassen; und es brachte ihm auch berufliche Nachteile. Zusammen mit Anna Morawska, die bereits im Jahre 1970 ihr Bonhoeffer-Buch „Ein Christ im Dritten Reich“ veröffentlicht hatte, hat er auf seine beharrliche Weise viel dazu beigetragen, daß der deutsche Widerstand in Polen nach und nach bekannt wurde und daß ein neues Deutschland-Bild entstand.
Van Roon andererseits hatte schon 1967 mit seinem grundlegenden Werk „Neuordnung im Widerstand“ der Öffentlichkeit eine Fülle von Material über den Kreisauer Kreis vorgelegt. Dem folgten weitere Veröffentlichungen mit denen van Roon zum Historiografen des Kreisauer Kreises wurde. Daß dies ein Niederländer wurde und nicht ein Deutscher hängt auch mit dem Stellenwert zusammen, den der deutsche Widerstand damals in der deutschen Gesellschaft und in der deutschen Geschichtsschreibung fand. Es war ja nicht so, daß man den eigenen Widerstand gegen das Dritte Reich weithin würdigte und ehrte. So gelang es denn auch van Roon bei manchen Vorstößen in Deutschland nicht, konkrete Schritte zur Rettung Kreisaus oder zum Gedenken an diesen historischen Ort zu bewirken. Und dies, obwohl auch Bundestagsabgeordnete oder die Friedrich-Ebert-Stiftung im Laufe der Jahre Vorstöße unternommen haben, Kreisau nicht zu vergessen.
An dieser Situation änderte sich erst gegen Ende der achtziger Jahre etwas. Seit dem Sommer 1987 befaßten sich am Ostberliner Sprachenkonvikt junge (evangelische) Theologen mit der Neuordnung Europas. Zwei von ihnen waren Stefan Steinlein und Wolfram Bürger. Unterstützt von Professor Wolfgang Ulmann lasen sie Eugen Rosenstock-Huessy und Schriften des Kreisauer Kreises. Dabei kamen sie auf die Idee, einen Ort der Begegnung und des Gedankenaustausches im östlichen Mitteleuropa zu suchen, und entwickelten Konzepte für ein „planetarisches Lehrhaus Helmuth James von Moltke“ in Kreisau, in dem ein neues Europa gedacht werden könne.
Man wendete sich an Franz von Hammerstein, den Vorsitzenden der Aktion Sühnezeichen West. Der nahm Verbindung zu Freya und Konrad von Moltke in den USA auf und berichtete denen von den Plänen. Auch nutzte er seine Kontakte zur Rosenstock-Huessy-Gesellschaft, die das Erbe Rosenstock-Huessys und des Kreisauer Kreises lebendig erhalten wollten.
Tagungen in Ostberlin und in den USA aus Anlaß des 100. Geburtstags von Eugen Rosenstock-Huessy im Herbst 1988 waren dann Gelegenheiten bei denen sich Interessierte trafen. Dabei wurde der Jesuitenpater Adam Zak aus Krakau für die Idee gewonnen. Auf der Suche nach polnischen Partnern stieß er wiederum auf junge, interessierte Mitglieder des Klubs der Katholischen Intelligenz in Breslau, unter ihnen Michal Czaplinski. Der setzte sich mit seinem Ost-Berliner Freund Ludwig Mehlhorn in Verbindung, sie trafen sich mit Stefan Steinlein. Hieraus wurde ein Vortrag Steinleins vor dem Breslauer Klub im Februar 1989, bei dem Steinlein Karol Jonca kennenlernte.
Im Juni 1989 veranstaltete man nun gemeinsam in Breslau eine Tagung mit über einhundert Teilnehmern (argwöhnisch von den Geheimdiensten beobachtet) zu dem unverfänglichen Thema „Christentum in der Gesellschaft“. In Wirklichkeit verhandelte man das gemeinsame Projekt und schickte am 4.Juni 1989 ein Schreiben an das Außenministerium der Volksrepublik Polen. Mit diesem Brief bat man um Aufmerksamkeit für die Idee, in Kreisau eine internationale Begegnungsstätte für die junge Generation Europas, und ein Museum des europäischen Widerstandes gegen Hitlerdeutschland zu schaffen. Und auch das Bundeskanzleramt wurde informiert.
DIE VERSÖHNUNGSMESSE
Im November 1989 besucht der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl Polen. Er verhandelt mit der seit Jahrzehnten ersten frei gewählten polnischen Regierung. Der Besuch soll einen Neubeginn in den Beziehungen beider Staaten bringen. Noch ist nur zu ahnen, daß der ganze Ostblock sehr schnell zusammenbrechen und Deutschland alsbald vereinigt sein wird. Doch zwei künftige Nachbarn - Bundeskanzler Kohl und Ministerpräsident Mazowiecki – feiern zum Abschluß ihrer Verhandlungen am 12. November 1989 (drei Tage nach dem Fall der Mauer) eine „Versöhnungsmesse“ im ehemaligen Hofgut der Familie Moltke in Kreisau. Diese Gelegenheit nutzt der Breslauer Klub, dessen Mitglied übrigens Mazowiecki ist, um den Gästen das Projekt „Internationale Begegnungsstätte Kreisau“ vorzustellen. In seiner Regierungserklärung am 16. November 1989 berichtet der Bundeskanzler dem Bundestag, daß er mit Polens Ministerpräsident mündlich vereinbart habe, „das frühere Gutshaus des Grafen von Moltke zu einer internationalen Jugendbegegnungsstätte auszubauen, bei der die Chance besteht, daß die Jugend Europas und vor allem die Jugend Polens und Deutschlands zusammenkommt.“
Als Fortsetzung der 1. Kreisau-Konferenz vom Juni treffen sich vom 1.bis 3. Dezember 1989 etwa einhundertfünfzig Teilnehmer zur 2. Kreisau-Konferenz „Christentum in der Gesellschaft II“. Es ist das Wochenende, an dem DDR-Bürger zum ersten Mal ohne die bisherigen Einschränkungen in den Westen fahren dürfen (wer damals mit dem Auto nach Breslau fuhr erinnert sich noch der endlosen Trabi-Schlange). Mit der Übereinkunft der Regierungschefs beider Staaten war die Grundlage für die weitere Arbeit am Projekt gelegt. Erste konzeptionelle Überlegungen werden angestellt. Der Klub in Breslau wird beauftragt, „die Trägerschaft für eine Stiftung des Projekts Krzyżowa/Kreisau zu übernehmen“, ein internationaler Beirat wird gewählt. In den folgenden Wochen gibt es intensive Gespräche über das Projekt, in die die polnische Regierung, die Regierung der Bundesrepublik und die neue Regierung der DDR einbezogen sind. Die Regierung der DDR stellt 180.000,- DM Ost, (etwa 10.000 €) zur Verfügung und die südpolnische Provinz der Jesuiten spendet 11.500$.
DIE BERLINER ERKLÄRUNG
Im Mai 1990 findet in Berlin die 3. Kreisau-Konferenz statt. Sie erarbeitet und verabschiedet eine „Berliner Erklärung“. Die Erklärung geht von der Gründung einer „Stiftung für europäische Verständigung“ aus und sieht für diese vier Aufgaben:
- eine Begegnungsstätte mit internationalem Charakter
- eine Erinnerungsstätte
- ein ökologisches Landgut
- eine Kreisau Gemeinschaft
Der Geist die Gedanken und die Pläne des Kreisauer Kreises und insbesondere des Helmuth James von Moltke sollen den internationalen und europäischen Charakter der Begegnungsstätte prägen. Als von besonderer Bedeutung für die neue Ordnung der Völkergemeinschaft in Europa sei die deutsch-polnische Verständigung zu sehen. Eine enggefaßte Altersbegrenzung nur auf Jugendliche wird abgelehnt, weil sie die Bedeutung und das Gewicht des Gesprächs zwischen den Generationen im Verständigungsprozeß verkenne.
Am Rande der Tagung gibt es mühsame und nicht einfache Verhandlungen zwischen Vertretern der Bundesregierung, der polnischen Regierung und Vertretern der internationalen Arbeitsgemeinschaft, die sich gebildet hat. In diesen Beratungen wird eine Stiftungssatzung erarbeitet, und es werden juristische und finanzielle Randfragen geklärt. Dabei wird zum ersten Male deutlich, welche Schwierigkeiten ein den früheren eisernen Vorhang überschreitendes Projekt damals bereitete, wenn man es partnerschaftlich verwirklichen wollte. Dies begann schon mit den unterschiedlichen Begriffen der jeweiligen Rechtssprache. Es setzte sich fort in den mangelnden Erfahrungen der polnischen Seite mit einem irgendwie gearteten Stiftungsrecht; in Polen gab es zu dieser Zeit fast keine Stiftungen, und deren Rechtsverhältnisse waren auch nicht offen gelegt. Dann entwickelten die beteiligten deutschen Ministerien eigene Konzepte für das Projekt, die sich durchaus nicht mit allen Vorstellungen der Internationalen Arbeitsgemeinschaft deckten. Es wurden Mentalitäts- und Erfahrungsunterschiede deutlich. Und schließlich waren alle Beteiligten unerfahren im Aufbau eines solchen Vorhabens. Am Ende stand aber doch ein gemeinsamer Satzungstext, der von der Tagung verabschiedet wurde und von dem angenommen werden konnte, daß er auch von beiden Regierungen gebilligt werden könnte. Die Tagung schloß mit der Wahl Michal Czaplinskis zum Stiftungsbeauftragten.
Schon im Juli 1990 wurde in Breslau die Stiftung durch den Klub der Katholischen Intelligenz errichtet, der in diesem Zusammenhang das Eigentum am Hof samt Gebäuden und dem Berghaus erhielt und es als Stiftungsvermögen in die Stiftung einbrachte. Am 22. September 1990 fand dann die erste Sitzung des Stiftungsrats der neuen Stiftung statt. Er wählte Ewa Unger zur Vorsitzenden und berief in das Präsidium M. Czaplinski, W. Leenman, K. Loskot, G. v. Roon, St. Steinlein und J. Telschow. jetzt konnte die Arbeit der Stiftung und der Wiederaufbau Kreisaus beginnen.
Das gemeinsame Programm
Hierfür war nun von großer Bedeutung eine Vereinbarung zwischen der deutschen und der polnischen Regierung, die in Form eines Notenwechsels zwischen den beiden Außenministern vom 27.7. und 20.8.1990 verbindlich gemacht wurde. Unter Bezugnahme auf die zwischen Bundeskanzler Kohl und Ministerpräsident Mazowiecki am 12. November 1989 in Kreisau getroffene Vereinbarung und auf die von den Ministern am 14. November unterzeichnete Gemeinsame Erklärung sowie auf die am 23.und 24. Juli 1990 in Bonn zwischen Vertretern beider Regierungen geführten Verhandlungen wurde unter anderem folgendes vereinbart:
- Beide Regierungen unterstützen die Schaffung und Tätigkeit der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Kreisau.
- Die Internationale Jugendbegegnungsstätte dient vor allem der Begegnung von deutschen und polnischen Jugendlichen. Sie hat europäischen Charakter und führt auch die Generationen zusammen.
- In diesem Sinne verwirklichen die Jugendbegegnungen die Ziele und Festlegungen des gemeinsamen Abkommens über den Jugendaustausch vom 10. November 1989.
- Die Stiftung Kreisau für europäische Verständigung errichtet die Jugendbegegnungsstätte und gründet zur Bewirtschaftung und Leitung eine Institution mit eigener Rechtspersönlichkeit.
- Dem Aufsichtsorgan dieser Rechtspersönlichkeit gehört je ein Vertreter beider Regierungen an.
- Die Bundesrepublik Deutschland gründet für die Zusammenarbeit mit der Jugendbegegnungsstätte einen eigenen Rechtsträger (dafür wurde der „Förderverein für die Internationale Jugendbegegnungsstätte e.V. gegründet), der ebenfalls einen Sitz im Aufsichtsorgan hat.
- Die Einrichtung der Jugendbegegnungsstätte wird vorrangig aus dem zur Rückzahlung des Finanzkredits von 1975 gebildeten Zloty-Fonds (inzwischen „Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit“) finanziert.
- Die laufenden Unterhalts- und Betriebskosten der Jugendbegegnungsstätte werden aus deren eigenen Einnahmen bestritten.
Diese Vereinbarung war die entscheidende Grundlage für die Wiederherstellung Kreisaus und damit für die Errichtung der Internationalen Jugendbegegnungsstätte. Ohne die hierin vereinbarte Hilfe beider Regierungen und die entsprechenden finanziellen Zuwendungen der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit würde Kreisau nicht so dastehen, wie es jetzt steht.
DIE BAUARBEITEN
Als die Stiftung Kreisau im Sommer 1990 den Gutshof übernahm, wurde der Gebäudekomplex trotz seines teilweise sehr schlechten Zustandes noch landwirtschaftlich genutzt: Im Kuhstall standen Kühe, in der Scheune befand sich eine Getreidetrocknungsanlage und ein Getreidelager und etliche Haushalte hatten in verschiedenen Gebäuden ihre Wohnungen. Im Übernahmevertrag war deshalb geregelt, daß hierfür zunächst Ersatzraum geschaffen werden mußte, bevor Bauarbeiten beginnen konnten.
Deshalb wurden zunächst mit Sondermitteln der deutschen Botschaft in Warschau vor Ort ein Wohngrundstück erworben und durch Umbau Wohnungen für acht Haushalte geschaffen. Sodann wurde in Makowice, dem Sitz des landwirtschaftlichen Kombinats, ein weiteres Wohnhaus für die anderen sechs Haushalte gebaut. Außerdem wurden drei neue Getreidesilos und ein Kuhstall am gleichen Ort errichtet.
Sodann war es erforderlich eine gewisse Infrastruktur zu schaffen. Kreisau verfügte bis zum Jahre 1992 über keine Wasserleitung. Der Brunnen im Hof war nicht mehr ergiebig genug und die Wasserqualität zudem schlecht. Es mußte also eine Wasserleitung gelegt werden die über sieben Kilometer Trinkwasser heranführt. Sie wurde so dimensioniert, daß sich nicht nur die Begegnungsstätte, sondern auch der Ort Kreisau und eine Reihe benachbarter Orte anschließen konnten. Für die Region war schon dies eine bedeutsame Leistung.
Auch fehlte es bis dahin an einem Klärsystem. Es wurde also eine eigene Kläranlage gebaut, an die sich inzwischen auch Kreisau angeschlossen hat. Für zwei Nachbarorte reichte die Kapazität auch noch.
Große Probleme bereitete ein ausreichender Telefonanschluß. Die ganze Baustelle und der Tagungsbetrieb wurden in den ersten Jahren über eine einzige Telefonleitung mit einem Anschluß abgewickelt. Seit 1998 ist Kreisau endlich in ausreichender weise an das öffentliche Telefonnetz angeschlossen.
Die eben beschriebenen Maßnahmen schufen die Voraussetzungen dafür, das überhaupt mit der Einrichtung der Begegnungsstätte begonnen werden konnte. Die Finanzierung übernahm die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit. Aber es handelte sich eben um Vorlaufkosten, die bei der Betrachtung der Gesamtkosten nicht übersehen werden dürfen. Probleme bei der Bauplanung und hinsichtlich der Gesamtkosten brachten aber auch denkmalpflegerische Gesichtspunkte.
Der Stiftung Kreisau gehören inzwischen die Hoffläche und die Gebäude des ehemaligen Gutes Kreisau sowie das Berghaus mit Grundsück, insgesamt eine Fläche von etwa fünf Hektar. Hinzu kommt ein Dauernutzungsrecht am Kapellenberg. Außerdem konnte die Stiftung im Umfeld des Gutshofes fünfzehn Hektar Weideland und im Ort dreizehn Hektar Ackerland auf acht Jahre mit Vorkaufsrecht pachten. Der Gutshof wird vor allem der Jugendbegegnung dienen, das Berghaus und der Kapellenberg sind vor allem Teil der Gedenkstättenarbeit. Die Wiesen sollen den notwendigen Auslauf der Besucher Kreisaus ermöglichen, und davor bewahrt werden, das sich auf ihnen andere Nachbarn ansiedeln. Das Ackerland sollte sicherstellen, daß zu einem geeigneten Zeitpunkt eine ökologische Landwirtschaft begründet werden kann.
Das Nutzungskonzept
Das Nutzungskonzept, das den Renovierungs- und Umbauarbeiten zu Grunde gelegt wurde, orientiert sich an den Bedürfnissen eines Tages- und Freizeitbetriebs für mindestens einhundertzwanzig Jugendliche. Das Berghaus ist einerseits mit einem Gedenkraum dem Andenken an den Kreisauer Kreis gewidmet und soll andererseits Möglichkeiten zum ruhigen wissenschaftlichen Arbeiten bieten. Wohnraum für einen Hausvater und Gäste auf Zeit ist vorhanden.
Die Verantwortung für die Durchführung der Baumaßnahme hatte der Stiftungsvorstand einer Baukommission übertragen. Diese hat aus Prof. Dr. Kazimierz Czaplinski (zeitweise), Michal Czaplinski (zeitweise), Wim Leenman (zeitweise), Krzysztow Loskot (zeitweise), Walter Lorang und Jürgen Telschow bestanden. Beratend zu Seite standen der Baukommission Professor Gerhard Müller-Menkens und sein Mitarbeiter Günther Mulitze aus Bremen. Ihre Mitarbeit wurde durch die Förderung des Bundesverbandes der deutschen Bauindustrie möglich. Ewa Unger hat unermüdlich gedolmetscht. Die Baukommission hat die notwendigen Konzepte entwickelt, die von den Architekten vorgelegten Planungen geprüft und optimiert sowie die Bauausführung kontrolliert; soweit letzteres möglich ist wenn ein Teil der Beteiligten von weit her anreisen muß.
Was Geschichte kostet
Bei der Verwirklichung des Projekts sind die Beteiligten von Anfang an der Auffassung gewesen,
daß ein Werk der internationalen Verständigung mit der gleichberechtigten Partnerschaft untereinander beginnen muß. Beim Bauen und an manch anderer Stelle wäre es leichter gegangen, wenn entweder nur die Deutschen oder nur die Polen bestimmte Aufgaben übernommen hätten. Auch wollte man bei diesem Bau, daß die Bauausführung wo irgend möglich bei Firmen aus Polen läge, um auch auf diesem Wege die dortige wirtschaftliche Entwicklung zu unterstützen.
Man wollte also Gemeinsamkeit. Und so wurde im Kleinen all‘ das an Schönem und Ärgerlichem durchlebt, was im Großen in Gesamteuropa zu beobachten war und ist. Vielleicht ist manches umständlicher oder langsamer gelaufen als notwendig. Doch das Ziel ist erreicht. So zählen Heute nur noch wenig: Sprachbarrieren, unterschiedliche berufliche Erfahrungen der Beteiligten; mangelndes Fachwissen bei der Mehrzahl der polnischen Partner, die mit ihren durch das bisherige Gesellschafts- und Wirtschaftssystem begrenzten Kenntnissen den Erwartungen der Deutschen nur schwer gerecht werden konnten; mangelnde technische Möglichkeiten und geringe Materialauswahl bei der Bauausführung; unterschiedliche Einschätzung historischer baulicher Gegebenheiten; unterschiedliche Bewertung ökologischer Gesichtspunkte; unterschiedliches Denken in Fragen der Wirtschaftlichkeit, unterschiedliche Begriffe von Qualität, und so weiter. Dies hat auch die persönlichen Beziehungen manchmal belastet. Daß trotzdem das herauskommen konnte, was jetzt dasteht, kann also nur als ein beachtlicher Erfolg partnerschaftlicher internationaler Arbeit betrachtet werden.
Nun wird mancher Besucher heute gar nicht bemerken, wo Mängel zu finden sind. Andere Besucher werden sich über vermeintliche Fehler bei der Restaurierung historischer Substanz oder über Mängel der Bauausführung mokieren. Es sollte aber bedacht werde, daß hier in der Anfangsphase des Zusammenrückens Europas wirklich zwei Kulturen aufeinandertrafen. Da sind Probleme nur auf dem Kompromißwege zu lösen.
Die Gesamtkosten beliefen sich auf etwa neunundzwanzig Millionen DM belaufen. Trotz der langen Bauzeit konnten die Kostensteigerungen stets mit den inflationären Entwicklungen und den Preisveränderungen im Baugewerbe begründet werden. Für die Finanzierung des Ganzen abgesehen von dem Gästehaus, dessen Um-bzw. Neubau aus Spenden und über Kredite finanziert wurde, ist der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit zu danken. Auch in dem Verhältnis zwischen ihr und der Stiftung Kreisau ging es nicht ohne Spannungen ab. Ob bei Planung oder Ausführung gab es auch hier immer wieder konzeptionelle Meinungsunterschiede. Nur ging es nie um die Frage ob die zur Verfügung gestellten Gelder korrekt abgerechnet werden. So konnte dann wohl auch der Vorstand der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit immer wieder den Vorstellungen der Kreisauer folgen.
DIE INTERNATIONALE JUGENDBEGEGNUNGSSTÄTTE
Am Anfang standen Zelte
Zwölf Tage nach der Gründung der Stiftung Kreisau begann am 21. Juli 1990 in Kreisau die internationale Jugendbegegnung. Zweiunddreißig Menschen aus Polen, Deutschland, den Niederlanden und Rumänien trafen sich an diesem Tag zu einem dreiwöchigen Work-Camp. Die Leitung lag in den Händen von Wim Leenman, Lien Leenman und Joanna Wieczorek. Es folgten Jahr für Jahr drei solcher Lager, deren Teilnehmer in Zelten vor dem Berghaus und unter schwierigen sanitären Bedingungen lebten. Das Interesse ließ ab 1996 infolge der Gründung der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Kreisau AG und der Fertigstellung der ersten festen Quartiere nach.
In Anknüpfung an die Löwenberger Arbeitslager, die von der schlesischen Arbeiterbewegung in den späten zwanziger Jahren im schlesischen Löwenberg stattgefunden haben und an denen auch Helmuth James von Moltke Anteil gehabt hat, wurden hier junge und alte, jüngere und ältere Menschen zusammengeführt. Wie der Name es schon sagt war ein wesentlicher Teil des Programms praktische Arbeit, zum Nutzen des Kreisau-Projektes und der Gemeinde Kreisau. So wurden Aufräumarbeiten und Hilfsarbeiten auf der Baustelle, Arbeiten auf dem Friedhof und auf dem sonstigen Gelände, Betreuung im Kindergarten und Erntehilfe geleistet. Daneben beschäftigte man sich mit der Geschichte Kreisaus, dem Kreisauer Kreis, den wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Verhältnissen der Region und mit politischen und religiösen Fragen. Schon bevor die Institution Kreisau zu laufen begann, war dies der Initiative einzelner zu danken.
In der Jugendbegegnung sind heute hauptamtliche pädagogische Kräfte tätig, zwei polnische Pädagoginnen, sowie je ein deutscher und ein polnischer Pädagoge. Mit deren Hilfe konnte die Jugendbegegnungsstätte nach der Aufnahme ihrer Tätigkeit im Juli 1994 beachtliche Teilnehmerzahlen verbuchen. Obwohl die Begegnungsstätte in jeder Hinsicht unter den schwierigen Kommunikationsmöglichkeiten (Telefon) und darunter litt, daß sie auf einer Großbaustelle erfolgte, gab es im Jahr 1994 ca. 6000 Übernachtungen, in den Jahren 1995 und 1996 je 10.000 und im Jahr 1997 fast 11.000. Dies ist nicht zuletzt den vielfältigen Unterstützungen, auch bei den Personalkosten, der Kreisau-Initiative Berlin zu verdanken. Auch der Förderverein hat die Finanzierung zweier Stellen vermittelt.
JUNI 1998
Am 11. Juni 1998 erlebte das Dorf Kreisau / Krzyżowa zum zweiten Mal nach 1989 einen Ansturm von Besuchern, Medienvertretern und prominenten Politikern aus Polen und Deutschland. Hatten sich Kanzler Kohl und Premier Mazowiecki im November 1989 auf dem Gelände eines abgewirtschafteten landwirtschaftlichen Betriebes zur Versöhnungsmesse getroffen, so begegneten sich 1998 Premier Buzek und Kanzler Kohl im Zentrum einer frisch fertig gestellten Begegnungsstätte. Nach der Versöhnungsmesse hatten deutsche wie polnische Regierung beschlossen, das von einer internationalen Bürgerinitiative angeschobene Projekt eines europäischen Zentrums der Bildung und Begegnung in Kreisau zu unterstützen. Im Fokus der Regierungen stand dabei eine Internationale Jugendbegegnungsstätte (IJBS), bis heute zentraler Teil der Stiftung Kreisau.
Seit 1994 stand der IJBS mit dem „Pferdestall“ ein Gebäude zur Verfügung, jetzt, vier Jahre später waren die Arbeiten auf der Anlage abgeschlossen und die Zeit der „Begegnungen auf einer Baustelle“ ging zu Ende. Als letztes Gebäude war auch das Berghaus renoviert und eingerichtet worden, der Kappellenberg war nun wieder begehbar und ebenfalls im Juni wurden im Schloss die Bibliothek und die Dauerausstellung „In der Wahrheit leben“ eingeweiht. Damit waren Räume erschlossen, die auch für die intergenerationelle und die Erwachsenenbildungsarbeit von großer Bedeutung waren. Neben Jugendbegegnungen und Kunstworkshops fanden nämlich 1998 auch bereits Treffen von deutschen und polnischen Nachwuchshistorikern oder Seminare höherer Offiziere beider Länder in Kreisau statt.
Die Feierlichkeiten führten altes und neues Kreisau zusammen, so begannen sie am Berghaus, wo Ewa Unger, Rosemarie Reichwein, Clarita von Trott zu Solz und Freya von Moltke die beiden Regierungschefs mit Brot und Salz begrüßten. Später war dann - wie schon 1989 - Bischof Nossol Hauptzelebrant, dieses Mal allerdings eines ökumenischen Gottesdienstes, gefeiert im Hof zwischen den Gebäuden der Anlage. Der eigentlich Akt der Eröffnung geschah durch das Zusammenbinden zweier Schleifen durch Helmut Kohl und Jerzy Buzek – ein bewußt statt des klassischen Zerschneidens eines Bandes gewähltes Symbol.
Das Rahmenprogramm bildeten Tanz- und Theateraufführungen, auf die sich deutsche und polnische Schülerinnen und Schüler vorbereitet hatten und die Teilnehmer_innen eines Grafikworkshops aus Belarus, Polen, der Ukraine und Litauen hatten für beide hohe Herren persönliche exlibris gestaltet.
Am 11. Juni wurden so Räume zugänglich, die in allen folgenden Jahren die Arbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen prägten und ohne die es heute nicht möglich wäre, Jahr für Jahr beinahe 30.000 Gäste aus der ganzen Welt in einem kleinen niederschlesischen Dorf willkommen zu heißen!
Die Reden vom 11. Juni 1998
DIE STIFTUNG KREISAU HEUTE
Die Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung ist eine parteipolitisch unabhängige, gemeinnützige Einrichtung im niederschlesischen Kreisau/Krzyżowa in der Nähe von Schweidnitz/Świdnica, Polen. Alle Einkünfte kommen der Programmarbeit zugute oder werden in den Erhalt der Begegnungsstätte investiert. Die Gremien der Stiftung – Aufsichts- und Stiftungsrat sowie Fachkommissionen – arbeiten ehrenamtlich.
Die Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung ist eine gemeinnützige Organisation nach polnischem Recht mit international besetzten Gremien und einem internationalen, mehrsprachigen Mitarbeiterteam.
Ihre satzungsgemäßen gemeinnützigen Aufgaben erfüllt die Stiftung in drei Programmbereichen mit jeweils spezifischen Konzeptionen und Zielsetzungen:
- Internationale Jugendbegegnungsstätte
- Gedenkstätte
- Europäische Akademie
Zur Finanzierung dieser Aufgaben betreibt die Stiftung eine Tagungsstätte und ein Konferenzzentrum mit Hotel und Gastronomie.
Seit 2007 hat die Stiftung Kreisau eine GmbH „Internationales Konferenzzentrum Kreisau” ausgegründet, um die gewerbliche Tätigkeit des Konferenzzentrums von der gemeinnützigen Tätigkeit der Programmabteilungen der Stiftung strukturell zu trennen.
Der Text ist auf Grundlage eines Beitrags aus der folgenden Publikation entstanden: "Im Herzen Europas - in Kreisau", Krzyżowa 1998, unter der Redaktion von Jürgen Teltschow.