Mitteilung der Kopernikus-Gruppe
Der deutsch-polnische Gesprächskreis der Kopernikus-Gruppe traf sich zu seiner dreiundvierzigsten Sitzung vom 13. bis 15. Juni 2024 in Warschau. Das vorliegende Arbeitspapier „Mehr Mut zu Gemeinsamkeit“ fasst die gemeinsamen Überlegungen des Kreises zusammen.
Prof. Dr. Waldemar Czachur, Warschau; Prof. Dr. Peter Oliver Loew, Darmstadt 27.6.2024
Arbeitspapier XXXV der Kopernikus-Gruppe
Mehr Mut zu Gemeinsamkeit
Sicherheit in den deutsch-polnischen Beziehungen
Der Regierungswechsel in Polen Ende 2023 weckte Hoffnungen auf einen Neuanfang in den deutsch-polnischen Beziehungen. Nach sechs Jahren werden die bilateralen Regierungskonsultationen am 2. Juli 2024 endlich wieder aufgenommen. Die Kopernikus-Gruppe hat bereits im Dezember 2023 in einem Papier die wichtigsten Herausforderungen für die Regierungen in Berlin und Warschau zusammengestellt. Dabei wurde die Notwendigkeit der Unterstützung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten auf beiden Seiten der Oder hervorgehoben, zum Beispiel in Form eines deutsch-polnischen Bürgerparlaments.
Der Ausgang der Wahlen zum Europäischen Parlament Anfang Juni 2024 hat gezeigt, dass der Neuanfang in den bilateralen Beziehungen in beiden Ländern in einem schwierigen gesellschaftspolitischen Umfeld stattfinden wird. Die Zugewinne der populistischen und antieuropäischen Parteien erhöhen den innenpolitischen Druck auf die Regierungsparteien in Berlin wie in Warschau, was Aufmerksamkeit für die wichtigen bilateralen Anliegen schwächen könnte.
Auf diese bilaterale Agenda muss stärker als bisher auch der anhaltende Krieg in der Ukraine gesetzt werden. Insbesondere muss die deutsch-polnische sicherheitspolitische Zusammenarbeit intensiviert werden. Ein Hindernis dabei scheint die unterschiedliche Bedrohungswahrnehmung in beiden Ländern zu sein. Oftmals ist man sich in Deutschland nicht bewusst, in welchem Umfang Polen vor allem in den ersten Kriegsmonaten 2022 der Ukraine militärisch Beistand geleistet hat – und welche rüstungspolitischen Konsequenzen dieses Handeln bis heute hat: Trotz hoher Verteidigungsausgaben müssen die polnischen militärischen Ressourcen wieder aufgefüllt werden. Das wirkt sich auch auf die Bedrohungswahrnehmung der polnischen Elite und Gesellschaft aus. Gleichzeitig hat Deutschland die Bundeswehr über Jahre vernachlässigt. Die polnischen und die deutschen Streitkräfte sind demnach beide in einer schwierigen Situation. Beide Armeen müssen wachsen und aufrüsten. Diese Notwendigkeit wird in Polen eher als existenziell wahrgenommen, während in Deutschland darüber kontrovers diskutiert wird. Dennoch steckt in dieser Gemengelage aber auch Potenzial für mehr sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern.
Die Wahrnehmung einer Bedrohung durch Russland ist in Polen eine andere, als in Deutschland. In Polen ist die Überzeugung weit verbreitet, dass die russische Aggression nur aus einer Position der Stärke heraus gestoppt werden kann. Dies drückt sich etwa durch die überparteiliche Zustimmung zu Aufrüstung und generell einer Stärkung der Streitkräfte in Polen aus. Gar populistische Kräfte werfen der Regierung eher vor, zu wenig, als zu viel zu tun. In Deutschland hingegen ist vielmehr ein „race to the bottom“ und teilweise ein Bekenntnis zum “Frieden um jeden Preis" zu beobachten, vor allem gegenüber atomar bewaffneten Staaten. Das heißt, dass unterschiedliche politische Parteien, in der Regierung selbst, aber auch in der Opposition, Aufrüstung kritisch sehen, obwohl Deutschland absehbar Probleme haben wird, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato einhalten zu können. Diese unterschiedlichen Realitäten gilt es im deutsch-polnischen Verhältnis wahrzunehmen, zusammenzuführen und schließlich aus ihnen heraus Lösungen für eine intensivere gemeinsame Rüstungs- und Verteidigungspolitik zu entwickeln – im Rahmen der Nato, des Weimarer Dreiecks, aber auch bilateral zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Europas.
Dennoch ist im Bereich der Sicherheitspolitik eine langsame Annäherung zu erkennen, zum Beispiel beim Thema Energiesicherheit. Während in Polen ungebrochen die Überzeugung vorherrschte, dass die Energieversorgung eines der zentralen Elemente der Sicherheitspolitik ist, hat sich ein solches Denken in der deutschen Politik erst nach Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine verstärkt. Auch haben Cyber-Angriffe aus Russland in beiden Staaten das Gefühl einer Bedrohung durch Russland wachsen lassen.
Bei einer Annäherung beider Länder im Bereich der Sicherheitspolitik stehen die Populismen in beiden politischen Systemen im Weg. Populismus gefährdet die Sicherheit. Denn er polarisiert, erzeugt gesellschaftliches Misstrauen und lässt internationale Zusammenarbeit erodieren. Populismus erschwert es zudem, in der deutsch-polnischen Partnerschaft zukunftsweisende Entscheidungen zu treffen, nicht zuletzt im Bereich Sicherheitspolitik.
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Wir sollten die Chance nützen, dass wir in Deutschland wie in Polen jetzt proeuropäische Regierungen haben, die sich nicht als populistisch verstehen. Bislang zögern beide Regierungen bei vielen Entscheidungen, auch was die bilateralen Beziehungen betrifft: Es fehlt ihnen – oft aus Angst vor den Populisten – der Mut, über ihren innenpolitischen Schatten zu springen, um die deutsch-polnische Nachbarschaft – und damit Europa – weiter zu gestalten. Wir sollten unsere nationalen Politiken stärker miteinander verschränken – auch um Populismus zu bekämpfen.
Die bevorstehenden Regierungskonsultationen sollten mehr sein als nur eine formelle Wiederaufnahme des Dialogs nach sechsjähriger Pause. Mut, Entschlossenheit und Offenheit für innovative Lösungen sind heute mehr denn je gefragt. Gerade bei der Sicherheitspolitik gilt es für Polen und Deutschland noch entschiedener als bisher, mit mehr Mut gemeinsam zu handeln.
Die Kopernikus-Gruppe ist ein Projekt des Deutschen Polen-Instituts und der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung. Die Sitzung der Gruppe in Warschau wurde von der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit gefördert.