Es ist kaum zu glauben, dass dieser schreckliche Krieg bereits zwei Jahre andauert. Und es ist kaum zu glauben, wie sehr er uns zur Normalität geworden ist, wie sehr wir uns an ihn gewöhnt haben. Anfangs hat dieses Meer von Tod, Unglück, Leiden und Weinen aber auch Heldentum, Aufopferung und Solidarität eine sehr große Wirkung auf uns gehabt. Wir waren erschüttert. Wir haben uns in Hilfsmaßnahmen gestürzt. Wir haben protestiert. Jetzt ist uns das alles ein wenig gleichgültig geworden. Unser Enthusiasmus zu helfen, hat nachgelassen. Wir sind müde und mit anderen Problemen beschäftigt.
Genau darauf setzen die Aggressoren. Sie sind nicht gleichgültig oder müde geworden. Sie greifen weiter an. Sind überzeugt, dass Unterstützung und Solidarität des Westens schon ihr Limit erreicht haben und sich abschwächen, dass die geschwächte, ausblutende Ukraine letztlich ihre Beute wird.
An diesem 731. Tag des Krieges appellieren wir an uns selbst und an Sie, unsere Freundinnen und Freunde, Menschen, denen die Kreisauer Werte wichtig sind:
Die Ukraine brauchte noch immer unsere Hilfe und unsere Solidarität. Lassen wir nicht zu, dass die Gleichgültigkeit in uns die Überhand gewinnt. Es ist in Ordnung, sich müde zu fühlen, aber es ist nicht in Ordnung, dieser Müdigkeit nachzugeben. Der heldenhafte Abwehrkampf der Ukrainnerinnen und Ukrainer, ihre Freiheitsliebe und Ihre Entschlossenheit, ein Teil des vereinten Europas zu werden, sind ein Beleg dafür, wie wichtig unsere Werte sind – Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, europäische Gemeinschaft. Wir vergessen nicht, dass diese Werte heute in der Ukraine verteidigt werden. Wenn die Ukraine verliert, verlieren wir alle.
Wir haben nur einen geringen Einfluss auf die politischen Entscheidungen. Aber wir können materielle Hilfe leisten, wir können zwischenmenschliche Beziehungen wachsen lassen, unsere ukrainischen Nachbarinnen und Nachbarn dazu einladen, bereits jetzt ein gemeinsames Europa von unten aufzubauen, ohne auf politische Entscheidungen zu warten. Dazu trägt jede, auch jede kleine Geste bei.
Wir haben die Worte von Freya von Moltke nicht vergessen: „Es lohnt sich immer, etwas zu tun, was man nicht für sich tut – das ist etwas was beglückend ist und lebenserfüllend".
Und wir erinnern uns auch an die Worte von Professor Stanisław Stomma: „Das Licht scheint in der Dunkelheit. Jeder möge sein eigenes geistiges Licht entzünden. Wenn viele kluge und gerechte Menschen ihr Lichtlein entzünden, wird ihre große Anzahl die Dunkelheit erhellen“.
Der Vorstand der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung
Dorota Krajdocha, Dr. habil. Robert Żurek