Der Deutsch-Polnische Nachbarschaftsvertrag ist nach wie vor aktuell. Es ist höchste Zeit, dass die deutsch-polnische Zivilgesellschaft ihn mit neuem Leben füllt

Wir, die Expertinnen und Experten der deutsch-polnischen Kopernikusgruppe, verstehen uns als Teil einer transnationalen deutsch-polnischen Zivilgesellschaft, die in den letzten drei Jahrzehnten wachsen konnte.

Wir rufen aus Anlass des 30. Jahrestags der Unterzeichnung des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit im Juni 2021 dazu auf, die bilateralen Beziehungen weiter zu vertiefen. Aus unserer Sicht hat der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag 1991 all die Bereiche der Zusammenarbeit geregelt, die für die Zukunft des Dialogs notwendig waren, und zwar so optimal, wie dies zu diesem Zeitpunkt für Polen und Deutschland möglich war. Er ist nach wie vor für uns eine wichtige Grundlage für die rechtlichen und politischen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern.

Wir weisen darauf hin, dass Deutschland und Polen politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich und kulturell stärker aufeinander angewiesen sind, als dies in den aktuellen medialen und politischen Debatten ersichtlich ist. Unsere Beziehungen haben sich in den letzten 30 Jahren so weit entwickelt, dass wir nun bereit sein sollten, konstruktiv und wertschätzend über unterschiedliche politische Konzepte zu streiten.

Wir rufen dazu auf, die deutsch-polnischen Beziehungen immer in einen europäischen Kontext zu stellen. Viele Entwicklungen in Deutschland und Polen sind keine nationalen Sonderwege, sondern spiegeln gesellschaftliche, politische, kulturelle oder wirtschaftliche Tendenzen in ganz Europa wider. Deshalb brauchen wir auch im bilateralen Miteinander inhaltliche Debatten über europäische Zukunftsthemen. Gemeinsam können wir als Partner in der Europäischen Union Impulse geben und dadurch die Integration voranbringen, die zur Bewältigung der aktuellen Krisen und Herausforderungen nötig ist, etwa im Rahmen der jüngst gestarteten Konferenz zur Zukunft Europas.

Wir appellieren, die bilateralen Beziehungen nicht nur aus der Perspektive der Hauptstädte zu betrachten, sondern auch die Interessen der Regionen in den Blick zu nehmen, insbesondere der Grenzregionen. Gerade die Pandemie hat vielen Deutschen und Polen an Oder und Neiße vor Augen geführt, wie stark verflochten der Grenzraum bereits ist. Wir fordern den Mut, die deutsch-polnischen Beziehungen dezentral neu zu denken und den Gebietskörperschaften neuen Gestaltungsspielraum zu geben.

Wir sehen in der kulturellen Vielfalt und Mehrsprachigkeit unserer Gesellschaften eine Chance. Deshalb erwarten wir, dass die Fragen der strukturellen und finanziellen Unterstützung von in Deutschland lebenden Menschen aus Polen und in Polen lebenden Deutschen produktiv gelöst werden. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass es in einem Europa der Freizügigkeit die unterschiedlichsten Vorstellungen kultureller Zugehörigkeit gibt.

Wir sind uns sicher, dass die Deutschen und die Polen nicht nur eine gemeinsame Sprache finden können, um über die schwierige und teilweise auch immer noch nicht genug bekannte Geschichte zu sprechen, sondern auch symbolische Signale der gegenseitigen Anerkennung brauchen. Selbst wenn sich unsere Erinnerungskulturen unterscheiden, müssen geschichtlich bedingte oder wertebezogene Unstimmigkeiten politisch gelöst werden.

Wir rufen alle Medienschaffenden dazu auf, die Konsequenzen der gebrauchten Sprache und der verwendeten Bilder zu bedenken: Wie wir als Deutsche über Polen und als Polen über Deutschland reden, hat entscheidenden Einfluss darauf, was wir übereinander denken und wie wir diese Wahrnehmungen in konkrete Handlungen umsetzen.

Wir schlagen vor, ein bilaterales Parlament der deutsch-polnischen Zivilgesellschaft zu gründen. Unabhängig von den politischen Konjunkturen sollen Vertreterinnen und Vertreter deutsch-polnischer Initiativen, Polenfreunde und Deutschlandfreundinnen einmal im Jahr über den Stand der Beziehungen und über neue Ideen debattieren. In einem solchen Parlament sollten Frauen eine starke Stimme bekommen, denn zu oft in der Geschichte haben Männer die deutsch-polnischen Beziehungen geprägt.

Wir bekennen uns als deutsch-polnische Kopernikus-Gruppe dazu, auch künftig Verantwortung für den bilateralen Dialog zu übernehmen und zur Umsetzung der Forderungen beizutragen.


Darmstadt, Warschau im Juni 2021

Kontakt:
Prof. Dr. Waldemar Czachur, polnischer Ko-Vorsitzender der Kopernikus-Gruppe (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)
Prof. Dr. Peter Oliver Loew, deutscher Ko-Vorsitzender der Kopernikus-Gruppe (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)

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Seit 2020 leitet die Stiftung Kreisau für Europäische Zusammenarbeit gemeinsam mit dem Deutschen Polen Institut die Kopernikus Gruppe.

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