Diese Woche möchten wir Ihnen einen Text von Dr. Paweł Ukielski empfehlen, in welchem er sich damit auseinander setzt, welchen Einfluß auf die Erinnerung an den Krieg die Tatsache hat, dass der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus eine Erfahrung kleiner Eliten war, während es in Polen zwar nicht im eigentlichen Sinne einen Widerstand der Massen gab, er aber seinen Ausdruck in staatlichen Strukturen fand, die sich eindeutig für den Kampf mit dem Okkupanten aussprachen.

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(…) In diesem Fall liegt das Problem in der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Individuum und Gemeinschaft sowie im gegenseitigen Verhältnis. Unter den Deutschen gab es heroische Individuen, die sich dem durch Völkermord gekennzeichneten Totalitarismus widersetzten. Jedoch haben die Deutschen als eine politische Gemeinschaft in dieser Zeit die Prüfung nicht bestanden. Es wurde eine Staatsmaschinerie geschaffen – die Emanation des politischen Willens einer Nation, der auf Völkermord, die Vernichtung von Dutzenden von Millionen von Menschen, eingestellt war, eine Maschinerie der Gesellschaftstechnologie in nie zuvor gesehenem Ausmaß.

Im Gegensatz zu den Deutschen haben allerdings die Polen als politische Gemeinschaft, die ihren Ausdruck in den Staatsstrukturen findet, diese Prüfung bestanden. Polen hat sich als das erste Land in Europa dem Kampf gegen das absolute Böse gestellt und dafür einen unvorstellbaren Preis bezahlt. Es hat Staatsstrukturen ausgebildet, die trotz der grausamen Okkupation auf polnischem Gebiet bestehen blieben, mehr noch, die sich zur Rettung von Leben, und nicht zur nationalsozialistischen Zivilisation des Todes bekannten. So haben die Behörden des polnischen Staates, dem sich die Mehrheit der Gesellschaft unterordnete (trotz der Tätigkeit in Gefangenschaft und der dadurch begrenzten Prärogativen), den deutschen Völkermord abgelehnt, die Gerichte haben die Kollaborateure (darunter die Denunzianten von Juden) verurteilt, und gleichfalls in staatlichen Strukturen entstanden ist die Organisation Żegota, die Juden retten sollte.

P. Ukielski_DIE DEUTSCHE WIDERSTANDSBEWEGUNG AUS DER POLNISCHEN PERSPEKTIVE.pdf

Dr. Paweł Ukielski - Historiker, Politologe. Stellvertretender Direktor des Museums des Warschauer Aufstandes. Wiss. Mitarbeiter am Institut für Politische Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Mitglied der Plattform für das Gedenken und Gewissen Europas (Platform of European Memory and Conscience).

 

* Der Text wurde veröffentlicht in: Das (un)sichtbare Erbe. Gedanken über den Kreisauer Kreis, Tomasz Skonieczny (Hg.), Wrocław 2017.

 

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