In dieser Woche möchten wir Ihnen einen Text von Dr. hab. Pierre-Frédéric Weber empfehlen, in welchem er sich der Frage widmet, inwiefern der Kreisauer Kreis in französischen Diskursen, sei es in Publizistik oder Wissenschaft, vorkommt. Dabei weist er nicht nur auf eine Erinnerungsperspektive hin, die sich von der in Deutschland - und teilweise auch von der in Polen - unterscheidet, sondern geht darüber hinaus auf bestimmte spezifische Bedingungen in Frankreich ein, die Einfluß auf die Gestalt der kollektiven Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg genommen haben.

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(…) Zunächst lohnt sich der Versuch, den Platz des deutschen Widerstands überhaupt in der französischen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg anhand von ein paar wichtigen Merkmalen herauszuarbeiten. Dabei sollte man auf das dominierende Nachkriegsnarrativ fokussieren, das in Frankreich die Erinnerungskultur noch bis heute weitgehend bestimmt. Dieses – und das kann man nicht genug unterstreichen – ist bezüglich des Widerstands gegen das „Dritte Reich“ stark auf Frankreich selbst fixiert und blendete den deutschen Beitrag im Kampf gegen Hitler noch lange Zeit nach 1945 aus. Das hatte wohl vorrangig damit zu tun, dass die Franzosen zunächst mit ihrer eigenen, komplexen Kriegserfahrung zurechtkommen mussten. Es fiel sowohl der Gesellschaft als auch den politischen Entscheidungsträgern des befreiten Frankreichs schwer, unmittelbar nach dem Krieg die Kollaboration eines Teils der Franzosen mit Deutschland zu verarbeiten und sozusagen die Doppelgleisigkeit der Rolle Frankreichs im Zweiten Weltkrieg in das kollektive Narrativ aufzunehmen. General Charles de Gaulle, der als Held nach Paris zurückkehrte und in seiner berühmten Rede die Befreiung der Hauptstadt absichtlich als Heldentat aller Franzosen bezeichnete, ja zu einer solchen hochstilisierte, leistete damit symbolisch den wohl entscheidendsten Beitrag zur Schaffung des politischen Gründungsmythos der Nachkriegsordnung in Frankreich: Es war der Auftakt zur langfristigen Mythisierung des Widerstands – dem so genannten „Résistancialisme“ – als Werk vermeintlich aller vereinter Kräfte der französischen Gesellschaft.

P. Weber_ÜBER DIE (NICHT-)ERINNERUNG AN DEN KREISAUER KREIS IN FRANKREICH UND DIE PLURALITÄT DER GEDENKKULTUREN IN EUROPA.pdf

Dr. habil. Pierre-Frédéric Weber. Wiss. Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Universität Stettin. Mitglied der Gedenkstätten- und Europäische Akademiekommision der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung.

* Der Text wurde veröffentlicht in: Das (un)sichtbare Erbe. Gedanken über den Kreisauer Kreis, Tomasz Skonieczny (Hg.), Wrocław 2017.

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