In diesen außergewöhnlichen Zeiten einer freiwilligen oder erzwungenen physischen Isolation, scheint es, als sei es viel einfacher, Zeit für die Lektüre zu finden. Persönliches Interesse, Gewohnheiten oder auch ganz einfach die Informationsblasen, in die wir dank der Algorithmen der Sozialen Medien geraten sind, bewirken dabei jedoch, dass wir oft interessante Texte verpassen können. Daher wollen wir - einmal pro Woche - Ihnen unsere subjektive Presseschau präsentieren. Es werden interessante, überraschende und diskussionswürdige Texte sein, manchmal auch solche, die Anlass für eine scharfe Auseinandersetzung sein können. Es geht nicht darum, sich mit den präsentierten Stimmen immer zu identifizieren sondern eher darum, wie die Gegenwart von Vertreter*innen unterschiedlicher Weltanschauungen, wissenschaftlicher Richtungen, Berufen und gesellschaftlichen Gruppen gesehen wird.

(…) Die Überzeugung, erinnerungspolitischer Weltmeister zu sein, ist ein zentrales Motiv der gegenwartsdeutschen Selbsterzählung. Zuweilen scheint es, als sei die einstige Wahnvorstellung rassischer Überlegenheit dem Glauben an eine moralische Überlegenheit gewichen. Die vermeintlich vorbildliche Vergangenheitsbewältigung legen sich Teile der deutschen Gesellschaft als Zeugnis kultureller Fortschrittlichkeit aus. 

Wie zuletzt der Essayist Max Czollek gezeigt hat, ist es dabei zur gängigen Praxis geworden, sich auf der vielbespielten Bühne des Erinnerungstheaters am Ritus kollektiver Läuterung zu laben.

Dass es mit dem Mythos einer schonungslosen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen nicht so weit her ist, wie es die einschlägigen Debatten nahelegen, unterstreicht der Berliner Politikwissenschaftler Samuel Salzborn nun mit seinem neuen Werk „Kollektive Unschuld. Die Abwehr der Shoah im deutschen Erinnern“.

 

(…) Ein Debakel wie 1940: Frankreich denkt wegen des Virus an die düsterste Zeit seiner Geschichte. Corona sei wie die Gestapo, heißt es. Die deutsche Besatzung soll nicht in Vergessenheit geraten. (…) „Das Virus ist wie die Gestapo.“ Der Vergleich geht dem 98 Jahre alten Soziologen Edgar Morin leicht über die Lippen: „Man sah sie nie, plötzlich war sie da, und man war weg.“ Von der Corona-Krise erhofft sich der Widerstandskämpfer und Ex-Kommunist einen neuen Gesellschaftsvertrag. „Wir sind im Krieg“, bleute Macron den Franzosen ein. Sie erleben die Epidemie als Debakel wie die Kapitulation von 1940. Vor achtzig Jahren wurde ihre Armee, die sie für die stärkste der Welt hielten, überrannt. Marc Bloch schrieb „Die seltsame Niederlage“. Jetzt bricht die französische Gewissheit zusammen, über das weltweit beste Gesundheitssystem zu verfügen.

Disinformation is not always ideologically motivated. On the contrary, most fake news websites serve primarily to make money. The disinformation economy relies heavily on Facebook and Google Ads, a report on five eastern European countries shows.

 

(…) Dass man inzwischen wieder Blusen oder Hosen in deutschen Innenstädten kaufen kann, das folgt aus den ersten Lockerungen der Corona-Maßnahmen. Dennoch hat der Handel in Deutschland stark zu kämpfen, was aber bedeutet die Corona-Pandemie für die Menschen am anderen Ende der Lieferkette, für die Textilproduktion zum Beispiel, die ja überwiegend in den ärmeren Ländern Süd- und Südostasiens läuft.

Armin Paasch, Referent für Wirtschaft und Menschenrechte beim katholischen Hilfswerk Misereor, weist im Interview auf die ausbeuterischen Bedingungen im Textilsektor hin, die es dort seit Jahren gibt, und die jetzt durch die Coronakrise noch einmal verschärft würden.

 

(…) Soziale Isolation und räumliche Beschränkung: Was viele Menschen gerade als Ausnahmesituation erleben, ist für Langzeitarbeitslose Alltag. Führt das zu mehr Verständnis? (…) Die Corona-Epidemie ist auch eine soziale Krise. Nicht nur, weil der Mittelstand billige Dosensuppen hamstert. Was Hartz IV und Quarantäne verbindet, erzählt hier ein Mann, der seit Langem auf Arbeitslosengeld angewiesen ist. Weil er anderen Erwerbslosen beisteht und Sorge vor Nachteilen durch das Jobcenter hat, nennt er sich hier Bernd Beistand.

 

(…) In der Corona-Krise gelten alte Regeln nicht mehr. Ständig müssen wir uns neu entscheiden. Das Protokoll einer inneren Verwirrtheit (…) Doch seit die Corona-Krise den Alltag bestimmt, funktionieren die Koordinaten nicht mehr. Wir sind "lost in agreements" und kommen kaum hinterher: anderthalb oder zwei Meter Abstand? Auf der Parkbank lesen oder weitergehen? Mit oder ohne Maske? Und wie war das noch mal in Thüringen geregelt? Die Vereinbarungen sind manchmal unscharf. Es entstehen moralische Grauzonen wie die an der Ampel in der Nacht. Es geht nicht nur um das, was man darf oder nicht. Sondern auch um das, was man doch immer tun oder eben vermeiden wollte. Überzeugungen werden auf die Probe gestellt, es gibt praktisch keine Vorbilder. Wie anstrengend so ein Tag werden kann!

 

Die Corona-Pandemie stürzt die Welt in eine schwere Krise – in Deutschland sogar die schwerste seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wie Kanzlerin Merkel vor Wochen sagte. Dabei gab eine ähnliche verheerende Seuchen mit Zigtausenden von Toten schon vor rund 50 und 60 Jahren – doch an die erinnert sich kaum noch jemand.

 

Oft versuchen Computerspiele, politisch neutral zu bleiben. Das antifaschistische Spiel "Through the Darkest of Times" ist eine angenehm entschiedene Ausnahme.

 

Bei einer Video-Pressekonferenz ist heute (29. April 2020) das Wort „Deutsche Bischöfe im Weltkrieg“ veröffentlicht worden. In ihm wird die Haltung der zur Zeit des Nationalsozialismus amtierenden katholischen Bischöfe zum Zweiten Weltkrieg behandelt. Das Dokument erscheint mit Blick auf den 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, dessen in der kommenden Woche am 8. Mai 2020 gedacht wird.

********** 

Die Presseschau konnte dank der Unterstützung folgender Personen vorbereitet werden:

  • Sarah Reinke, Projektleiterin, Stiftung Adam von Trott Imshausen e.V., Mitglied der Gedenkstätten- und Europäische Akademiekommission der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung.
  • Dr. habil. Pierre-Frédéric Weber. Wiss. Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Universität Stettin. Mitglied der Gedenkstätten- und Europäische Akademiekommision der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung.

Möchten Sie auf dem Laufenden bleiben?

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erfahren Sie so als erste(r) von den bevorstehenden Veranstaltungen!

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.