Studierendenaustausch der Pädagogischen Hochschule Freiburg mit der Universität Wrocław in Krzyżowa, Prof. Dr. Felix Hinz (PH Freiburg)
Die Studierendenbegegnungen der Pädagogischen Hochschule Freiburg im Breisgau (Abteilung Geschichte) und der Universität Wrocław (Institut für Germanistik) haben bereits eine langjährige Tradition, so dass sie mittlerweile zu den ältesten der dauerhaft durchgeführten Programme in der Fundacja Krzyżowa zählen. Ursprünglich von Ekkehard Geiger initiiert, werden sie gegenwärtig von Dr. Marcin Miodek (Univ. Wrocław) und (seit Dezember 2018) mir mit Gruppen von jeweils 10-12 Teilnehmenden vorzugsweise höherer Semester durchgeführt, um die historischen, kulturellen und politischen Horizonte der Beteiligten zu weiten.
Das Programm, zu dem es stets sehr positive Rückmeldungen gibt, läuft dabei im Wesentlichen stets nach einem bewährten Muster ab: Zunächst erfahren die Studierenden am ersten Tag im Herrenhaus mit seinen erhaltenen Wandgemälden, wer die Moltkes waren, nach denen in Deutschland noch so viele Straßen benannt sind, und lauschen der Aufnahme des greisen preußischen Generalfeldmarschalls, der der historisch älteste Mensch sein dürfte, dessen Stimme jemals aufgezeichnet wurde. Im ‚Berghaus‘ abseits des Guts, in dem sich einst die Verschwörer des von der Gestapo so genannten ‚Kreisauer Kreises‘ trafen, lernen sie mehr über die wichtigsten der Verschwörer, die während der nationalsozialistischen Herrschaft unter Lebensgefahr heimlich eine Nachkriegsordnung für Deutschland und Europa entwarfen, damit man im Falle eines erfolgreichen Putsches gegen Hitler ein Konzept parat hätte. Ein emotionaler Höhepunkt ist die gemeinsame Lektüre des Briefwechsels zwischen dem gefangenen Helmuth James und seiner Frau Freya, bevor er hingerichtet wurde. Freya hatte die für sie gefährlichen Briefe nicht vernichtet, sondern in einem Bienenstock auf dem Gut versteckt.
Unterbrochen von einem Ausflug zur staunenswerten Friedenskirche von Schweidnitz (Świdnica) von 1657, die das Thema „Konfessionskonflikte“ einbringt, und Spaziergängen zum ehemaligen Friedhof der Moltkes oder zur Gedenkstätte des ehemaligen KZ-Außenlagers Gräditz (heute Grodziec Mały), gemeinsamem Sport und Spielen, Kinovorführungen thematisch passender Filme und Vorträge der begleitenden Dozenten widmen sich die Studierenden in gemischten Gruppen Themen wie „Was verdient die Bezeichnung ‚Widerstand‘?“, „Wie sollte eine gemeinsame polnisch-deutsche Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg aussehen?“, „Welche Bedeutung hatte die Versöhnungsmesse 1989 damals und welche hat sie heute?“, „Weshalb sind viele Polen gegen Nord-Stream 2?“ bis hin zu „Wie stellen wir uns ein zukünftiges Europa vor?“.
Nach vier intensiven Tagen, in denen sich die Teilnehmenden bereits gut kennen gelernt und auch Vertrauen zueinander gefasst haben, geht es dann gemeinsam nach Wrocław, wo die polnischen Studierenden den deutschen ihre Stadt durch eine selbst entworfene Führung näherbringen. Dort wird der Freiburger Gruppe dann auch vom Leiter des Germanistischen Instituts der Universität Wrocław, Prof Dr. Marek Hałub, die Thematik „Schlesien als europäische Kulturregion“ näher gebracht. Aufbauend auf das bisher Erarbeitete wird nun als neuer Schwerpunkt die Frage nach der schlesisch-polnischen Identität nach 1945 eingeführt. Konfrontiert mit den baulichen Überresten der einst drittgrößten Stadt des Deutschen Reiches (die 1945 zur „Festung“ erklärt und bis zur fast völligen Zerstörung verteidigt wurde), den polnischen Restaurationen und natürlich umfänglichen Neugestaltungen wie auch gerade in der Universität mit der österreichischen Tradition der Stadt sollen auch Denkprozesse und Diskussionen über deutsche und polnische Vertreibungen, den Umgang der polnischen Neubürger mit dem ihnen zunächst fremden Erbe der Stadt (z.B. den zahlreichen Friedhöfen) sowie den wichtigen polnischen Beitrag zur Einigung Europas und Deutschlands 1989 initiiert werden, die dann regelmäßig wie bereits schon in Kreisau auf beiden Seiten eine erhebliche Perspektiverweiterung zur Folge haben.
Die Kommunikation findet übrigens ausschließlich auf Deutsch statt. Das Germanistische Institut der Universität Wrocław ist außerhalb des deutschsprachigen Raumes das größte, und neben der Sprache werden dort auch deutsche Geschichte und Kultur gelehrt. Die Studierenden sprechen ausnahmslos flüssig Deutsch und erweisen sich als ausgezeichnet über Deutschland unterrichtet.
Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die polnische Gruppe in der Woche vor Ostern stets zum Gegenbesuch nach Freiburg kommt. Hier wird nicht nur das Wiedersehen gefeiert, sondern das Projekt des gegenseitigen kulturellen und politischen Kennenlernens fortgesetzt. Auch dort gibt es natürlich eine von den Freiburger Studierenden entworfene Stadtführung. Aber auch historisch werden Anknüpfungspunkte hergestellt: Immerhin holten sich die Badischen Revolutionäre für ihren Kampf gegen die preußischen Truppen mit Ludwik Mierosławski 1848 einen polnischen Oberkommandierenden. Dies zeigt nicht nur die damalige deutsche Polenbegeisterung, sondern eben auch die Tradition des gemeinsamen Kampfes für ein freies Europa. Hieran anknüpfend besteht ein wichtiger Programmpunkt im gemeinsamen Besuch des Europäischen Parlaments in Straßburg, womit der Fokus auch auf das Elsass und damit auf eine weitere Region gelenkt wird, die wie Schlesien als Grenzregion mit wechselnder Staatszugehörigkeit immer wieder gezwungen war, die eigene Identität neu auszurichten.
Die Begegnung dient mithin als Augen- und Türöffner für alle Beteiligten. Erfahrungsgemäß finden die Gruppen sehr schnell zusammen. Hierzu bietet das umgestaltete Gutsgelände Kreisau mit seinen zahlreichen Möglichkeiten, Sport zu treiben (Volleyball, Basketball, Tischtennis), sich abends im Café oder einem der Gesellschaftsräume zu treffen, den idealen Rahmen. Nicht selten wird inklusive Karaoke bis in die Nacht gefeiert. Beim Gegenbesuch der polnischen Gruppe in Freiburg ist es dann oft so, als würde man alte Bekannte wiedertreffen.
Die Organisatoren sind bestrebt, den Austausch jährlich ohne Unterbrechung fortzuführen, da auf diese Weise auch immer noch Studierende der vorherigen Gruppen dazu stoßen und ihre Erfahrungen einfließen lassen. Auch gibt es seitens des Deutsch-Polnischen Jugendwerks, das den Austausch stets großzügig unterstützt, wie aber auch von Seiten des „Instituts für Volkskunde der Deutschen des östlichen Europa“ (IVDE Freiburg), das die Erforschung der deutschen Kultur und nicht zuletzt der Sprache in Osteuropa betreibt und im Frühjahr immer ein Programmpunkt des Austausches darstellt, Stipendien für Studierende, die an Vertiefungen des Austausches z.B. in Form von entsprechenden Abschlussarbeiten interessiert sind. Nicht versäumen möchte ich, neben den beiden beteiligten Hochschulen und Fakultäten sowie der Fundacja Krzyżowa auch der „Vereinigung der Freunde der Pädagogischen Hochschule Freiburg e.V.“ sowie dem Akademischen Auslandsamt der PH Freiburg für ihre stets großzügige Unterstützung zu danken.
Wer inhaltlich mehr über die Ergebnisse des Austausches erfahren möchte, sei auf die Homepage der Abteilung Geschichte verwiesen, wo sich der Reader der Freiburger Gruppe von 2018 mit zahlreichen Kurzbeiträgen und Fotos findet. (Derjenige der Gruppe von 2019 ist in Arbeit.)