Ende 2020 nahmen wir Abschied von Joachim Trenkner, einem deutschen Journalisten und mehrjährigen Mitarbeiter deutscher, amerikanischer und polnischer Medien, der seit 1997 mit der Wochenzeitschrift „Tygodnik Powszechny” in Verbindung gebracht wurde.

Joachim Trenkner war einer derjenigen, denen wir das „Versöhnungswunder“ (W. Bartoszewski) verdanken. Als Journalist, der sowohl für deutsche als auch polnische Medien tätig war, trug er in hohem Maße dazu bei, Ressentiments zu überwinden und die beiden Völker einander näherzubringen. Insbesondere jetzt, in dem Jahr, in dem wir das dreißigjährige Jubiläum des Vertrages über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit feiern werden, ist es wichtig, an Personen zu erinnern, die einen Beitrag zum friedlichen Miteinander der beiden Völker geleistet haben.

Wir ermuntern Sie dazu, den Nachruf auf Joachim Trenkner zu lesen, den für uns Dr. Paulina Gulińska-Jurgiel, Autorin eines in Buchform erschienenen Interviews mit Joachim Trenkner „Niemieckie lustro“ (Deutscher Spiegel), verfasst hat.

Joachim Trenkner – Abschied

Geboren wurde er 1935 in Göttingen, seine Kindheit verbrachte er in Thüringen, in der kleinen Stadt Schlotheim. Obwohl diese in die Zeit des Zweiten Weltkriegs fiel, bewahrte er davon keine schlechten Erinnerungen. Die Gegend, in der er aufwuchs, wurde nicht besonders stark von den Kriegshandlungen betroffen. Seine frühe Jugend war in den Entstehungsprozess der DDR und die daraus folgenden Konsequenzen eingeschrieben. Für die Teilnahme an einer Demonstration, die sich mit den streikenden Arbeitern solidarisierte, wurde er aus der Schule in Mühlhausen relegiert und zur Arbeit in einer Traktorenfabrik gezwungen. Anschließend begann er, auch nicht freiwillig, das Maschinenbaustudium in Leipzig. Dieser Ort war eine besondere Stadt auf der DDR-Landkarte. Durch die internationalen Messen veränderte sie sich zwei Mal im Jahr komplett. Eben dort verselbständigte er sich und erlebte einen politischen wie intellektuellen Erweckungsprozess. In dieser Stadt, mit einer der ältesten Universitäten Deutschlands konnte man damals den Vorträgen des Philosophen Ernst Bloch und des Germanisten Hans Meyer zuhören. Auch in Leipzig, mit dem legendären Gewandhaus-Orchester, verliebte sich Joachim Trenkner in die klassische Musik und blieb dieser für immer treu.

Nach einer weiteren Geste des politischen Engagements – Anziehen von schwarzen Krawatten nach dem Niederschlagen des Aufstands in Ungarn – wurde er mit ein paar Kommilitonen streng ermahnt und zur Selbstkritik gezwungen. Damals tauchte zum ersten Mal der Gedanke über eine Flucht in den Westen auf. Am 7. Oktober 1959, 10 Jahre nach der Gründung der DDR, flüchtete Joachim Trenkner nach Westberlin. Obwohl in der Stadt eine Zuzugssperre galt, gelang es ihm dort zu bleiben. Paradoxerweise verdankte er es dem zwangserlernten und als Mangelberuf geltendem Fach des Schlossers, den er nicht mochte. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine Anzeichen von seiner späteren journalistischen Karriere. Anfang 1961 beantragte er ein Stipendium der Carl-Duisburg-Gesellschaft, das ihm einen Studienaufenthalt in den USA ermöglichte. Kurz nach dem Mauerbau, den er noch aus direkter Nähe erlebte, begab er sich in die Vereinigten Staaten. Zuerst studierte er zwei Semester lang an der DePauw University, wo er sich auf einen Studienwechsel vorbereitete. Mit diesem Gedanken wählte er Geschichte, Soziologie und Textedition. Parallel lernte er intensiv die NS-Geschichte Deutschlands kennen, indem er die umfangreiche Quellenliteratur seines damaligen Mentors, Professor Grueniger nutzte. Danach zog er nach New York um. Die dort verbrachten Jahre prägten ihn beruflich. Nach einer kurzen Arbeit für die deutschsprachige Emigrantenzeitschrift „Staatszeitung und Herold” bekam er eine Stelle bei der Auslandsabteilung von „Newsweek”. Dort erlernte er das journalistische Handwerk und eignete sich die Überzeugung an, dass der Journalismus eine Dienstleistung ist, die auf Fakten und Transparenz basiert. Parallel schrieb er seine ersten Texte für „Aufbau“, eine Zeitschrift der deutsch-jüdischen Emigranten. Aus den Gesprächen mit ihnen schöpfte er historisches Wissen über Berlin der Zwischenkriegszeit sowie die Anfänge des Nationalsozialismus. Dabei vergegenwärtigte er sich das Ausmaß der Schuld Deutschlands und der Deutschen für das während des Zweiten Weltkriegs verübtes Böse. Alle diesen Erfahrungen wurden zu einer treibenden Kraft für seine späteren beruflichen wie privaten Initiativen.

1967 kehrte Joachim Trenkner nach Westberlin zurück, wo er anfing bei dem Sender Freies Berlin zu arbeiten. Kurz danach wurde er zum Redaktionsmitglied des frisch gegründeten Magazins „Kontraste“. Es handelte sich dabei um ein Programm, das die Aufmerksamkeit auf die Länder des östlichen Europas und die Sowjetunion richtete. In diesem Zusammenhang kamen seine ersten beruflichen Kontakte mit Polen zustande. Der Vertrag zwischen der Volksrepublik Polen und der BRD vom Dezember 1970 lieferte Basis für einigermaßen normale Arbeitsbedingungen bei der Berichterstattung. 1972 reiste Joachim Trenkner zum ersten Mal nach Polen. Dem deutschen Zuschauer näherte er dieses Land durch politische, wirtschaftliche sowie kulturelle Themen. So entstanden Reportagen über die Kohlgruben in Schlesien, deutsche Vergangenheit der polnischen Städte oder kulturelle Ereignisse wie etwa der Chopin-Wettbewerb. In diesem Jahrzehnt gewannen seine Beziehungen zu Polen eine weitere, persönliche Dimension – eine Ehe mit der aus Warschau stammenden Iwonna Trenkner.

Den durch die Solidarność-Bewegung initiierten gesellschaftspolitischen Umbruch beobachtete er aus direkter Nähe. Zusammen mit den Vertretern anderer ausländischen Redaktionen nahm er an einer in der Wohnung von Lech Wałęsa improvisierten Pressekonferenz teil. Er sprach auch mit anderen Oppositionellen. Nach der Verhängung des Kriegsrechts durfte er zwar nicht mehr nach Polen fahren, wurde aber regelmäßig mit Informationen über die aktuelle Lage versorgt. Dank einer geistreichen Idee eines Technik-Ingenieurs wurde die SFB-Richtantenne auf Stettin ausgerichtet und auf diese Weise konnten die offiziellen Informationen vom polnischen Fernsehen über das Kriegsrecht empfangen werden. Diese Materialien wurden anschließend durch die zu diesem Zeitpunkt immer zahlreicheren polnische Emigranten in Berlin übersetzt und weiter in den Westen vermittelt. Mit den polnischen Emigranten traf er sich vor Ort in Berlin, begleitete die Berliner „Solidarność” und ihre Initiativen aus der direkten Nähe, darunter die Hilfsaktion „Pakete nach Polen“. Diese Initiative, neben dem Kniefall von Willy Brandt, bezeichnete er nach Jahren als Ereignisse, die zur Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen nach 1945 beigetragen haben.

Im Sommer 1989, kurz nach dem politischen Umbruch in Polen, bereitete Joachim Trenkner eine Reportage für „Kontraste” vor, welche neue Einsichten in die ersten Stunden des Zweiten Weltkriegs mit sich brachte. Nach Gesprächen mit einem Regionalhistoriker und Zeitzeugen sowie auf der Grundlage der durchgeführten Recherchen konnte er einem breiten Publikum zeigen, dass die ersten Kriegsverbrechen 1939 die Einwohner einer Kleinstadt Wieluń getroffen haben, die am 1. September 1939 zu frühen Morgenstunden durch die deutsche Luftwaffe bombardiert wurde. Die Reportage traf in Polen auf eine sofortige Resonanz. Joachim Trenkner bekam dafür 1990 einen Kulturpreis der Stadt Wieluń.

Das Jahr 1989 als solches hielt für ihn weitere journalistische Überraschungen bereit. So begleitete er zusammen mit einem Fernsehteam Helmut Kohl bei dessen Besuch in Polen bei dem ersten demokratischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki. Dort erreichte ihn dann auch die Nachricht vom Fall der Mauer. Jahre später berichtete er von seiner nächtlichen Taxifahrt nach Berlin, die es ihm möglich machte, den politischen Umbruch in Deutschland direkt zu verfolgen. Helmut Kohl unterbrach kurzfristig seinen Besuch in Polen, kehrte dorthin aber am 11. November zurück. Einen Tag später nahm er gemeinsam mit Tadeusz Mazowiecki an der Heiligen Messe in Kreisau teil, die in die Geschichte als eine berühmte Geste der deutsch-polnischen Versöhnung einging.

Von der Redaktion der „Kontraste” verabschiedete er sich 1990. In den darauffolgenden Jahren arbeitete er über die Geschichte Berlins, seiner weiteren großen Liebe. So entstand eine 10-teilige Doku-Serie „Berliner Leben”, auf deren Grundlage später ein gleichnamiges Buch verfasst wurde.

Einem breiteren polnischen Publikum wurde er 1997 bekannt. Damals begann seine Zusammenarbeit mit „Tygodnik Powszechny”. Binnen nächster Jahre berichtete er regelmäßig für die Krakauer Zeitschrift über aktuelle politische und gesellschaftliche Themen in Deutschland. Genauso wichtig waren aber seine längeren Texte, die der Geschichte und Kultur Deutschlands gewidmet waren und die unermüdlich von Wojciech Pieciak übersetzt wurden. Etwas später fing Joachim Trenkner an, auch für das Deutsch-Polnische Magazin „Dialog” sowie die Danziger „Przegląd Polityczny” zu schreiben. Mit seinen Artikeln prägte er in den darauffolgenden Jahren das Bild der Deutschen und Deutschlands bei den polnischen LeserInnen.

Die Texte von Joachim Trenkner für „Tygodnik Powszechny” kannte ich lange bevor wir uns persönlich trafen. Kennengelernt haben wir uns 2009, anlässlich der Ausstellung „Wir, Berliner“, eins der Flaggschiffprojekte des Zentrums für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften, initiiert durch seinen damaligen Direktor, Robert Traba. Joachim Trenkner unterstützte die Veranstalter, ohne sich aufzudrängen und tat es konsequent. Aus der zweiten Reihe verhalf er dabei, Kontakte mit Berliner JournalistInnen zu knüpfen, sorgte für den Informationsverlauf und stand mit seinen Ratschlägen bereit. Wir sprachen damals viel miteinander und ziemlich schnell kam ich auf die Idee, seine Biographie etwas näher zu betrachten. Zum Glück ließ er sich davon überzeugen, so dass ich die Gelegenheit bekam, einer mehrstündigen spannenden Erzählung über sein Leben zuzuhören. 2011 erreichte sie den polnischen Leser in Form eines Buches mit dem Titel „Niemieckie lustro” (Deutscher Spiegel).

In dem am Anfang des Buches platzierten Fragekatalog bezeichnet er seine damalige Geistesverfassung: Immer gelassener aber immer noch neugierig. Diese Neugier bildete einen integralen Teil seiner Persönlichkeit. Eigentlich jedes Gespräch, ob per Telefon oder direkt, startete mit dem Satz: „Was gibt’s Interessantes?” Und es betraf sowohl politische Fragen, insbesondere jene zu den USA und Europa, als auch die gesellschaftlichen wie privaten.

Zwischen uns lag ein großer Alters- und Erfahrungsunterschied. Auch unsere Interessen waren zum Teil anders gewichtet. Unsere Gespräche aber – sowohl die im Umfeld des Buches als auch die späteren, geführt im Laufe der Jahre – behalte ich in dankbarer Erinnerung. Ich habe davon viel gelernt. Und in meinen Augen wird für immer ein Bild bestehen bleiben: Jedes Mal, wenn wir uns nach unseren sporadischen Mittagessen an der Kreuzung Pariser Str./Uhlandstr. getrennt haben, drehte ich mich nach dem Überqueren der Straße kurz in seine Richtung um. Er wartete immer, lächelte freundlich und winkte zum Abschied mit der Hand.

Auf Wiedersehen, Herr Trenkner.

Paulina Gulińska-Jurgiel

Berlin, 05.01.2021

 


Paulina Gulińska-Jurgiel, Kulturwissenschaftlerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Aleksander-Brückner-Zentrum für Polenstudien an der Martin-Luther-Universität in Halle. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Zeitgeschichte Polens und Ostmitteleuropas, mit besonderer Berücksichtigung der Ahndung der NS- und kommunistischen Verbrechen sowie Transformationsprozessen um 19891990. 2010 führte sie ein Interview mit Joachim Trenkner durch, dass 2011 im PWN-Verlag unter dem Titel "Niemieckie lustro" (Deutscher Spiegel) erschien (ISBN 978-83-01-1665808).

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