Eine Reflexion zum 30. Jahrestag des Vertrags über gute Nachbarschaft

Jeder von uns hat das schon einmal erlebt: Wir geben uns Mühe, wir versuchen, die höchstmögliche Qualität zu erreichen, aber die Adressaten unseres Handelns scheinen es nicht zu bemerken. Ein Fehler reicht schon aus, dass ihn jeder bemerkt und dann darauf hinweist, wodurch die bisherigen Leistungen untergraben werden.

Dieser Mechanismus tritt sowohl in unseren zwischenmenschlichen und beruflichen Beziehungen als auch in der öffentlichen oder politischen Sphäre auf. Ich mache Sie darauf aufmerksam, weil ich den Eindruck habe, dass dies in den deutsch-polnischen Beziehungen in ähnlicher Weise stattfindet. Wir regen uns auf, wenn etwas Schlimmes passiert, aber wir haben aufgehört das „Wunder der Versöhnung“ (Władysław Bartoszewski) wahrzunehmen, das sich weiterhin vor unseren Augen vollzieht.

Klaus Zernack, ein verstorbener deutscher Historiker, der wesentlich dazu beigetragen hat, die Einstellung der deutschen Geschichtsschreibung zu Polen und den polnisch-deutschen Beziehungen zu verändern, unterstrich wie schwierig es sei, in der Geschichte der europäischen Nationen eine so große Entfremdung zu finden, wie zwischen Deutschen und Polen nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute fällt es uns schwer uns das Ausmaß an Feindseligkeit, Schmerz, Angst, Verachtung und Hass vorzustellen, das unsere Vorfahren noch vor einigen Jahrzehnten trennte. Weder der eine noch der andere glaubte, dass Polen und Deutsche jemals gute Nachbarn, Partner oder Freunde sein könnten.

Dabei gilt es zu erinnern, dass die Feindschaft zwischen Deutschen und Polen nicht aus einem zufälligen Nachbarschaftsstreit entstanden ist. Sie wurde aus der Überzeugung heraus geboren, dass die andere Nation ein fundamentales Hindernis für die eigenen nationalen Interessen darstellt. Die Deutschen glaubten, dass sie nur dann eine wirklich große Nation sein konnten, wenn sie Polen zerstörten. Die Polen waren davon überzeugt, dass sie nur dann nationale Freiheit erlangen könnten, wenn Deutschland zusammenstürzt. Solche Einstellungen dominierten und vergifteten die gegenseitigen Beziehungen ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Ihre schrecklichste, aber keineswegs einzige Manifestation waren die Nazi-Verbrechen an den Polen in den Jahren des Zweiten Weltkriegs.

Erst in den 1960er Jahren gab es erste Anzeichen für ein Umdenken. Die Pioniere der Versöhnung begannen nach Wegen zu suchen, den „Fatalismus der Feindschaft“ (Stanisław Stomma) zu überwinden und setzten einen sehr schwierigen, mühsamen und langwierigen Prozess der Annäherung in Gang, wovon die Versöhnungsmesse in Kreisau im November 1989 ein wichtiger Meilenstein war.

Wenn man auf die Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen in den letzten zweihundert Jahren blickt, stellt man fest, dass in den letzten Jahrzehnten etwas Außergewöhnliches passiert ist. Die meisten Deutschen und Polen begannen an die reale Möglichkeit zu glauben, diesen Fatalismus überwinden zu können. Sie verstanden, dass jede einzelne Nation nur in solidarischer Zusammenarbeit Erfolg haben würde, nicht im Kampf gegeneinander. Man begann anders über den Nachbarn zu denken, über die Beziehungen zu ihm, aber auch über sich selbst. Die Identität, zu der früher die Polen- oder Deutschenfeindlichkeit gehörte, hat sich gewandelt. Daher ist etwas Schwieriges, gar Historisches gelungen, das Polen, Deutschland und Europa verändert hat, denn ohne die deutsch-polnische Aussöhnung wäre die Integration Europas nicht möglich.

Im Juni 2021 feiern wir den dreißigsten Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrags über gute Nachbarschaft, ein wegweisendes Dokument für die weitere Entwicklung der gegenseitigen Beziehungen. Sowohl die Regierungen als auch zahlreiche Institutionen veranstalten Jubiläumsfeierlichkeiten, Politiker*innen und Zeitzeug*innen werden auf die Schlüsselrolle des Vertrages hinweisen, Forscher*innen werden den Stand der Umsetzung analysieren. Aber wissen wir dieses Dokument wirklich wertzuschätzen? Ist uns bewusst, wie lang und schwierig der Weg zum Vertrag war, und wie viel dank ihm später möglich wurde? Können wir uns wirklich darüber freuen, wie sich die deutsch-polnische Nachbarschaft entwickelt hat?

Natürlich sind die deutsch-polnischen Beziehungen nicht idyllisch. Es gibt Probleme, Spannungen, Konflikte, häufiger und ernster in den letzten Jahren als noch vor einiger Zeit. Vertreter*innen des polnischen Regierungslagers und regierungsfreundlicher Medien berufen sich in unredlicher und unverantwortlicher Weise auf das alte Stereotyp des deutschen Feindes, um die gesellschaftlichen Emotionen zu beeinflussen. Deutsche Politiker*innen setzen mit einer Sturheit, die einer besseren Sache würdig ist, das egoistische Nord-Stream-Projekt um und schwächen damit das gegenseitige Vertrauen. Aber – und hier komme ich auf den Gedanken vom Anfang dieses Textes zurück – wollen wir unsere gegenseitigen Beziehungen hauptsächlich durch das Prisma von Fehlern, verpassten Chancen und Konflikten wahrnehmen? Oder sehen wir eher das enorme Gute, das durch die deutsch-polnische Zusammenarbeit entstanden ist und noch entsteht?

Wer dazu nicht in der Lage sein sollte, den laden wir nach Kreisau ein – zunächst virtuell (Lesen Sie unsere Website, Sozialen Medien oder Newsletter), und dann vor Ort. Hier sehen Sie die Früchte des Vertrages, die Auswirkungen des Versöhnungsprozesses: Zusammenarbeit auf der Grundlage von Respekt und Vertrauen, gemeinsame Projekte, Arbeit an einem neuen Europa, basierend auf den Werten, die uns verbinden – Zivilgesellschaft, Respekt, Solidarität, Bereitschaft zum Dialog und zur Zusammenarbeit, Verantwortung für eine gemeinsame Zukunft.

In diesem Jahr laden wir Sie außerdem zu einer Reihe von Veranstaltungen ein, die wir organisieren, um den 30 Jahre bestehenden Vertrag zu feiern und zu würdigen und um seinen Geist neu zu beleben. Lassen Sie uns gemeinsam feiern und uns über das Erreichte freuen!

Dr. habil. Robert Żurek
Geschäftsführender Vorstand
der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung

 

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